Otokar Brezina (1868 – 1929)
Tschechischer Dichter und Denker des Symbolismus, dessen dichterisches
Werk einen Höhepunkt der tschechischen Dichtung bildet. In seinen in
Versen und Prosa verfassten Visionen lässt er sich vorwiegend von dem Gedanken der sozialen Gerechtigkeit und der Verherrlichung der Arbeit leiten.
Unerschütterlich ist dabei sein Glaube an den ewigen Ratschluss Gottes, der das Weltall steuert und den Menschen in kosmischen Zusammenhängen wirken lässt. Siehe auch Wikipedia |
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Weihe des Lebens
Es gibt keine andere Einweihung in das Mysterium der Schönheit als das
Leben. Der Reinheit des Lebens entspricht die Herrlichkeit
der Vision. Die nach dem höchsten Geheimnis der Schönheit fragen,
fragen mit der einzigen Frage, die auf den Lippen aller Propheten gleich glühenden
Kohlen brannte: Wie sollen wir leben? Denn ebenso
wie überall herrscht auch in den Bereichen der Schönheit das Grauen
und die Hehre der Gerechtigkeit, die sich gleicherweise zum Wurm hinabbeugt
wie zu dem Fürsten des Gedankens, um mit Gestirnen wie mit Granatsand die
ungeraden Waagschalen in das ewige, niegestörte, den Kosmos immerdar in
gleicher Spannung haltende Gleichgewicht zu bringen. Ein jeglicher bricht von
den köstlichen Früchten der Schönheit an den Zweigen, zu denen
er mit seinem geistigen Wachstum herangewachsen; ihre übereinander gelagerten
Lichtgalerien entsprechen der Hierarchie der Geister.
Stets aber, in all ihren Kundgebungen, verfolgt die Schönheit ihr fernes
Ziel: die Geister durch das mächtige Gesicht einer
reicheren Erde und Wirklichkeit zu verbünden, als jegliche Wirklichkeit
der Erde ist; wie die Schalmei des Hirten die auf den Bergen verstreuten mystischen
Herden in höhere Lagen zu sammeln, auf die lichteren, duftenderen, heilkräftigeren
Matten der Urgebirge. In jedem sieghaften Blick unserer Augen ist die
Freude von Millionen, die für uns die Welt der Farben und Formen, des erhabenen
Lächelns von Blüten und Sternen erobert haben. Was einmal erobert
ward, bleibt für alle Zeiten erobert. Jede Münze, verzinst, ist fähig, sich in der Ewigkeit zu allem Golde der Erde zu wandeln.
Kein einziger machtvoller Blick, der die Welt in neuer Herrlichkeit und
Wahrheit sah, geht verloren und wird zerstört in den Jahrtausenden; ein
jeder verkörpert sich zu seiner Zeit in eine Tat, erbrennt als Wort, als
Kuß, als Prophezeiung; aber auch als Vorwurf, als Schmerz und das heiße
Gefühl des Kampfes, der von den Geistern in allen Welten geführt wird.
Die Fechsung [Ernte] von allen Feldern der Schönheit
ist die Steuer, die für die Städte des Lebens unser Stern abführt,
der Ewigkeit zinsbar.
Wie Flammen, die über verborgenen Erdschätzen tanzen, weist uns die
Schönheit auf die Orte, wo wir noch suchen sollen. Wenn sie zerteilt und
die Leidenschaftlichkeit der Geister zum Kampf entzündet,
hat sie hohe und hehre Verbindungen im Sinne, die wie Zielscheiben in Fernen
liegen, wohin nicht einmal die Pfeile der kühnsten Blicke zu fliegen vermögen.
Ihr Lächeln ist wie das breite, rätselvolle Lächeln des Meeres,
gefährlich dem einsamen Schwimmer; und ihre Botschaft
ist wie ein mystisches Sendschreiben an das Weltall, mit Sternen versiegelt, das auch die ätherische Hand des mächtigsten der Geister nicht erbricht,
das aber dereinst dennoch von allen wird eröffnet werden. Millionen Herzen
schlagen im Dienste der Schönheit wie Weberschifflein
am Webstuhl des Daseins: Millionen Herzen sehnen sich mit Millionen Schlägen
in dem ununterbrochenen Arbeitstag, mit Querfäden der Liebe die zu Beginn
der Zeiten abgerissene Webekette wieder zu knüpfen. Und vergeblich schlägt
ein jedes Herz, das ihrer einigenden Arbeit entglitten, Schifflein mit abgerissenem
Faden, vergeblich die der Müdigkeit verfallenden Geisterhände.
Wie die Sonne bei Aufstieg des Tages, verläßt auch die Schönheit
scheinbar die Orte, wo sie einmal gestanden. Aber wer ihr Geheimnis begriffen
hat, weiß, daß sie reglos ist wie die Sonne, in blendendem, sieghaftem
Lachen sich der Welten freuend, die sie belebt.
Solange vor unsern Blicken wie eine mystische Vegetation die Schönheit
der Dinge in Flammen emporschlägt, stets neu und Staunen wachrufend, ist
es ein Zeichen, daß wir den rechten Weg gehen. Bäume, Blüten,
Quellen und Horizonte geben uns in ihrem Glanze das Strahlen unserer Seele wieder,
die umso feuriger leuchtet, je näher sie ihrem Ziele kommt. Die Vögel
grüßen uns wie Brüder, mit ihrem Fluge die Süße und
Leichtigkeit unseres Fluges andeutend. Die ganze Schöpfung,
deren Vielfalt und Wirrsal uns beunruhigt hatte, befriedet sich vor uns wie
das chaotische Wogen der Kräfte am Schöpfungstag und legt sich vor
unserer geistigen Segelfahrt zu der klaren Spiegelbewegung des Stromes zusammen. Die Pflicht erscheint uns mit der Schärfe einer genialen Eingebung,
unser Tun erlangt die völlige Genauigkeit einer Funktion, die ausgeübt
wird von einem erhellten Instinkt. Wir sehen von allen Seiten zugleich, geistig,
zusammengesetzt und übersichtlich; wir gehen in der
Richtung der Entwicklung; jeder Augenblick erklärt uns die Rätsel
von Jahrhunderten; alles entspricht sich wechselseitig in den herrlichen Perspektiven
des Gesetzes; der Rausch der Lebensfülle, des überströmenden
Reichtums, läßt uns die Vorahnung der Freiheit
verkosten, nach der wir alle Durst in unsern Herzen tragen.
Aber sobald die Dinge unseren Augen in Chaos zu zerfallen beginnen, ohne Gesetz
und Rhythmus (mag er auch noch so tragisch sein in den
Seelen, denen von der Gerechtigkeit der Weg des Schmerzes vorbestimmt ist), ist es ein Zeichen, daß wir vom Weg abgeirrt sind und in die sumpfigen
Orte der Zersetzung gehen, die Jahrtausende lang auf ihre Vegetation warten
und sie vielleicht in dem Bestande dieser Erde nicht erst erharren werden. Wie
ein verletzter Spiegel, von dem blinde Hände den Silberbelag gelöst
haben, verliert die Natur die Fähigkeit, die Züge
unseres Geistesantlitzes widerzustrahlen. Wirrungen und Gegensätze,
sich einander zu Nichts erschlagend, verraten uns, daß ein Makel auf unserem
innern Gesicht liegt. Wir haben den asymptotischen Punkt aller Perspektiven
der Schönheit verloren; etwas ist geschehen, was nicht hätte geschehen
dürfen; unser Verhältnis zum Leben der Erde ist gestört worden.
War es ein Schmerz, der nicht hätte aufgerufen werden dürfen aus den
dunklen Schlupfwinkeln der Schuld?
War es eine Liebe, die nicht hätte zurückgewiesen werden dürfen,
als sie – Königin! - wehmütig kam, und die nun Feuer um sich
gelassen hat wie die Fürsten auf ihrem Zug durch Feindesland? War es eine
Wahrheit, die wir vergessen haben wie eine Kerze, entzündet am Lager und
umgestoßen in allzu leidenschaftlichem Traume, und sieht jetzt hat sie
uns das Haus überm Haupt in Flammen gesetzt? ... Haben
wir viel zu lange geschlafen und uns verspätet auf den Wegen der Zeiten?
Haben wir die brüderliche Schar der Vordringenden verloren und irren wir
auf ruhig gewordenen Schlachtfeldern umher, wo nur hungrige Gedanken über
unsern Köpfen kreisen wie die Schatten dem Heerlager folgender Raubtiere? Haben wir mit unserem Schweigen teilgenommen an der Schuld, die von den
Mächtigen begangen wird an Tausenden Namenloser? Haben wir etwa unbewußt
gegen die Verbündung der Geister gewirkt?
Die Schönheit ist verschwunden. Unser geistiger Blick ist erblindet, die
Hände, im Dunkel widereinander stoßend, haben die Fähigkeit
des Werkes verloren. Die Kunst ist für uns in diesem Zustande verloren.
Denn machtvoll sehen und schaffen ist eins. Der mystische
Gärtner führt in seine inneren Gärten nicht jene ein, die die
Kraft verloren haben, in ihnen zu arbeiten.
Aber die Arbeit, die von der Kunst geleistet wird, ist die gleiche Arbeit, auf
die das gesamte Leben der Erde gerichtet ist. Es ist eine
Fortsetzung des Schöpfungswerkes, das die Sterne als die Grundsteine seines
Baues gesetzt hat und die Phantasie als die Brücke zwischen sichtbaren
und unsichtbaren Welten.
Es kann daher keine Kunst gegen das Leben geben. Gegen das Leben ist nicht einmal
die Kunst des Grauens, nicht einmal die Kunst, welche die dämmerhaften
Stellen zwischen Tag und Nacht belebt. Denn die Kunst
ist wie das Leben die Herrschaft des Gesetzes über das Chaos, die
Sprache, die für die Zeiten formt, die Linie, die noch weiter abgrenzt
als die Natur, die Farbe, welche die Herrlichkeit von Morgen ahnen läßt,
die von anderer Sonne entzündet sind als von der unsern, die Musik, die
auch noch aus dem Stöhnen der Stürme, aus dem Brausen der Wellen,
aus dem Wimmern und Jauchzen der Tiere die Lichtbebungen erhabener Töne
befreit und sie so mächtig zu einen weiß, daß sie wie
Beschwörungsworte bis in die Welt der Geister dringen und aus ihren
Tiefen das Schluchzen reiner, noch ungeborener Wesen wecken. Denn in der Kunst
kündigen sich bisher nicht Körper gewordene Lebensformen an. Gegen
das Leben aber ist die Stummheit, mag sie sich auch in einem Jahrhunderte lang
währenden Wortregen entkräften und mag auch ihre Stille das Schweigen
ganzer Bibliotheken sein; die Blindheit, mag sie auch in alle Rosenfarben der
Morgenröten, eingefangen in die gehöhlten Handflächen der Abende,
ihre Pinsel tauchen und von ihnen Sonnen wie Tropfen flüssigen Goldes niedertropfen
lassen; Taubheit, mag sie auch wie der Windsturm sich in Raserei abarbeiten,
um die gigantischen Klaviaturen der Meere zum Spiel zu bringen. Stummheit,
Blindheit und Taubheit aber sind gegen das Leben, weil sie den Zusammenhang
zwischen den Wesen zerreißen und so das Werk der geistigen Vereinigung,
den Sinn der Schönheit stören.
An diesen Orten gibt es keinen innern Unterschied zwischen den einzelnen Formen
des menschlichen Strebens. Die Meister der Wissenschaft sind hier ebenso Künstler
wie die Genies der Tat und des Herzens, Eroberer und Heilige
und all die Unzähligen, die mit ihnen an dem gemeinsamen Werke der Vereinigung
der Geister arbeiten. Alle führt die Schönheit, stets entweichend
im grausamen Liebesspiel, stets verfolgt von der Phantasie. Jener Phantasie,
ohne die es keine Entdeckung auf Erden gäbe und deren Schiffe zu den weißen
Vorgebirgen neuer Küsten um Jahrhunderte früher gefahren kamen als
die aus Eisen und Holz gefügten Schiffe; die bei dem Anblick des Frühlings
das Zwitschern von tausend Lenzen hört, in dem Liede der Schnitter die
Musik der reifenden Sternenfelder und in der Schönheit des Weibes die Liebe
der strahlenden Bruderwesen begrüßt, die aus den Zeiten aufsteigen;
von der Phantasie, die den Begriff der Allmacht geschaffen hat in der tiefen
Intuition der geistigen Daseinswesenheit und die aus Dankbarkeit für einen
Augenblick ekstatischen Erblickens des Zieles den ganzen Kosmos erhellt wie
ein Lächeln, Jahrtausende hindurch
geschlagene Wunden von Millionen Herzen vergißt und den Tod, den die Lebenden
nicht lieben dürfen, mag er auch mehr vereinigen denn das Leben.
Die ganze geheimnisvolle Welt, die unausgedrückt
in uns schläft, die nicht einmal von einer Reihe von Sternbildern
in Tausenden Ländern wird ausgedrückt werden, deren Weite und Herrlichkeit
nicht einmal das kühnste Träumen ahnt, erbebt in uns bei jedem Erblitzen
des schöpferischen Kusses, als wäre wieder eine Fessel
des mystischen Fluches zerrissen und als hätten sich wiederum dichter
genähert die ausgebreiteten Arme der Geister, die sich sehnen nach Vereinigung
und Befreiung.
Und diesen Eindruck bewirken alle großen Werke des Menschen auf der Erde.
Enthalten in: Slavische Geisteswelt 3. West- und Südslavien,
Mensch und Welt. (S.135ff) Herausgegeben von St. Hafner, O. Turecek und C. Wytrzens,
Holle Verlag