Charles Bonnet (1720 – 1793)
Schweizerischer
Naturwissenschaftler und Philosoph, der bereits im Alter von 7
Jahren sein Gehör verlor und von einem Privatlehrer wissenschaftlich
ausgebildet wurde. Bonnet wollte den christlichen Glauben mit Hilfe der
Philosophie und Naturwissenschaft untermauern und verteidigen. Bonnet vertrat
die Ansicht, dass alles, was »zwischen der niedrigsten und höchsten
Stufe der körperlichen und geistigen Vollkommenheit« in der Stufenleiter der »unermesslichen Kette der Dinge«, die »alle Wesen
vereinigt, alle Welten verbindet und alle Sphären umgibt«, in
periodisch aufsteigender Folge evolutionär zum Ausdruck kommt, einer
gottgewollten präformierten Ziel- und Zweckbezogenheit unterworfen ist, in die selbst schon Wunder vorher eingeplant sind. »Bloß
ein einziges Wesen ist außerhalb dieser Kette, dasjenige nämlich,
welches sie hervorgebracht hat«. Laut Bonnet besitzt die Seele als »immaterielle Substanz« ein unverlierbares ätherartiges
Organ, in welchem die Erinnerungen der verschiedenen Erdenleben gespeichert
werden. Mit diesem »Ätherleib« würde sie in andere
Körper eingehen, worauf die »Palingenesie«, die Auferstehung
der in der jetzigen Weltperiode verstorbenen Lebewesen in einer künftigen
Weltperiode beruhen soll. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
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Betrachtung
über die Natur
Erster Teil
Von Gott und dem Weltgebäude
überhaupt
Einleitung
Ich erhebe mich zu der ewigen Vernunft, ich forsche in
ihren Gesetzen und bete sie an. Ich betrachte das Weltgebäude mit
einem philosophischen Auge. Ich suche nach den Verhältnissen, welche diese
unermessliche Kette zu einem einzigen Ganzen haben: ich bleibe bei
einigen Gliedern derselben mit meinen Gedanken stehen; und, durch einige Züge
der Macht, der Weisheit und der darin entdeckten Größe gerührt,
versuche ich es, sie abzuschildern, ohne sie zu schwächen.
I. Hauptstück
Von der ersten Ursache
Von sich selbst sein, alles können und mit einer
unendlichen Weisheit wollen, sind die anbetungswürdigen Vollkommenheiten
der ersten Ursache. Das Weltgebäude kommt wesentlich von dieser Ursache
her. Vergebens suchen wir anderswo den Grund von dem, was da ist.
Wir sehen überall Ordnung und Absichten. Diese Ordnungen und Absichten
sind eine Wirkung; welches ist davon die Quelle?
Das Weltgebäude für ewig ausgeben, heißt eine unendliche Folge
der endlichen Dinge annehmen. Zur Ewigkeit der Bewegung seine Zuflucht nehmen,
heißt eine ewige Wirkung zum Grunde setzen. Behaupten, dass der Verstand
von der Materie und der Bewegung herkomme, heißt so viel sagen, dass Newtons Optik das Werk eines Blindgeborenen sei.
Lasst uns demnach gestehen, da das Weltgebäude vorhanden ist, dass es außer demselben einen ewigen Grund seines Daseins
geben müsse.
II. Hauptstück
Die Schöpfung
Welcher Verstand kann in die Tiefen dieses Abgrundes dringen? Welcher Gedanke
kann die Macht ausdrücken, welche den Dingen, die da nicht waren, rief,
dass sie wurden? Gott will, dass die Welt sei,
und sie ist.
Kann diese göttliche Kraft, diese unbegreifliche Macht, wohl irgend mitgeteilt
werden? Und wenn sie es kann, welches sind die Gesetze dieser Mitteilung?
Fleisch gewordenes Wort, Erstgeborener unter den Kreaturen, wenn diese Kraft
jemandem hat zugeteilt werden können, so hast du sie empfangen, und die Himmel sind durch dich gemacht.
III. Hauptstück
Einheit und Vollkommenheit
des Weltgebäudes
Die Einheit des Entwurfes leitet uns zur Einheit des Verstandes,
der ihn erdacht hat. Die Harmonie in der Welt oder die Beziehung der
mancherlei Teile dieses ungeheuren Gebäudes unter sich beweisen, dass nur eine Ursache desselben ist. Ihre Wirkung
ist daher auch eine allein; und die Welt
ist diese Wirkung.
Dasjenige, was vorhanden ist, ist alles, und auch alles, was sein konnte. Das
Mögliche heißt hier nicht dasjenige, was entweder an sich oder in
Gedanken möglich ist, sondern dasjenige, was in Absicht
auf die sämtlichen Eigenschaften der hervorbringenden Ursache möglich
ist. Der Gegenstand der Macht war auch der Gegenstand der Weisheit.
Der wirkende Wille hat daher allem, was sein konnte, eine Wirklichkeit gegeben. Eine einzige Tathandlung dieses Willens hat das Weltgebäude hervorgebracht
und erhält es auch. Gott ist derjenige, der er gewesen und der er sein
wird. Was er gewollt hat, das will er noch jetzt.
Der Verstand, welcher sich alle Verbindungen der möglichen Dinge auf einmal
vorstellte, hat von Ewigkeit her das wahre Gute erkannt und nicht erst darüber
beratschlagt. Er hat gleich gewirkt und seine unumschränkte Freiheit angewandt,
und das Weltgebäude ist zum Vorschein gekommen. Folglich hat die Welt alle
Vollkommenheit, deren sie nur fähig war, von einer Ursache bekommen, deren vornehmste Eigenschaft die Weisheit und bei der selbst
die Güte Weisheit war.
Es gibt also kein eigentliches Übel in der Welt. Denn man trifft nichts darinnen an, das nicht die Wirkung oder die Ursache von
etwas Gutem sein könnte, welches ohne diese Sache, die wir ein Übel
nennen, nicht zur Wirklichkeit gelangt wäre. Wäre alles einsam, ohne
Verbindung geblieben, so würde in der Welt keine Harmonie geworden sein. Wäre eine oder die andere Sache weggelassen worden,
so hätte in der Kette ein Glied gefehlt, und die allgemeine Verknüpfung
verursachte, daß die Dinge einander untergeordnet wurden und ihre Verhältnisse
in Hinsicht auf Raum und Zeit bekamen.
Das Getriebe einer Maschine beklagt sich, dass es kein Rad geworden; dieses,
zum Getriebe gemacht, würde dieselbe Klage führen; man müsste
die Maschinen selbst vernichten, wenn man diese unvernünftigen Klagen vernichten
wollte.
Ihr sagt, warum ist der Mensch nicht so vollkommen wie der Engel? Ihr wollt
ohne Zweifel sagen, warum ist der Mensch nicht ein Engel? Fragt ihr auch, warum
der Hirsch kein Mensch geworden ist? Aber die Existenz des Hirsches setzte die
Existenz der Kräuter voraus, die ihm zur Speise dienen sollten. Wünscht
ihr daher noch, daß diese Kräuter ebenso viele kleine Menschen geworden
wären? Ihre Erhaltung und Vermehrung wäre von Erde, Wasser, Luft und
Feuer hergekommen — würdet ihr aber fortfahren und zuletzt fragen,
warum die Bestandteile dieser Elemente nicht kleine Menschlein sind?
Gesteht daher euren Irrtum ein und erkennt, daß jegliches Wesen die seiner
Absicht gemäße Vollkommenheit hat. Es würde aufhören, diese
zu erfüllen, wenn es aufhörte, dasjenige zu sein, was es ist. Mit
der Natur würde es die Stelle ändern, und diese Stelle, welche es
in der allgemeinen Hierarchie einnahm, müsste durch ein anderes ihm
ähnliches Wesen wiederum besetzt werden, wenn die Harmonie nicht aufhören
sollte.
Wir wollen nicht über die Dinge an und für sich betrachtet urteilen;
wir wollen sie hinsichtlich der Stelle einschätzen, welche sie in dem System
einnehmen müssen. Gewisse Folgen aus ihrer Natur sind ein Übel. Um
das Dasein dieses Übels zu verhindern, hät¬ten diese Wesen in
dem Nichts bleiben müssen oder eine andere Welt geschaffen werden müssen.
Aus der Wirkung der festen und flüssigen Teile aufeinander entspringt das
Leben; und eben diese Wirkung fortgesetzt, ist die natürliche Ursache des
Todes. Die Unsterblichkeit hätte demnach einen anderen
Plan erfordert, denn unser Planet schickt sich nicht für unsterbliche Wesen.
Der Inbegriff aller Ordnungen der relativen Vollkommenheiten macht die absolute
Vollkommenheit des Ganzen aus, von dem Gott gesagt hat, dass es gut wäre.
Dieses unermessliche System von zugleich vorhandenen
und aufeinander folgenden Dingen ist ebensowohl eines in der Folge wie in dem
Zugleichsein. Denn das erste Glied ist mit dem letzten durch die mittleren Glieder
verbunden. Die gegenwärtigen Begebenheiten sind Vorbereitungen zu den allerentferntesten. Der Keim, der sich in dem Schoße der Sara entwickelte, war die
Grundlage zu einem großen Volke und zur Wohlfahrt ganzer Nationen.
IV. Hauptstück
Das Weltgebäude in seinen
großen Teilen betrachtet
Wenn die dunkle Nacht ihren Teppich über die blauen Flächen des Himmels
gezogen hat, so zeigt das Firmament unsern Augen seine Größe. Die
funkelnden Punkte, mit denen es besät ist, sind die Sonnen, welche der
Allmächtige in diesen ungeheuren Raum gehängt hat, damit sie die um
sie herlaufenden Welten erleuchten und erwärmen möchten.
Die Himmel erzählen die Ehre des Herrn, und die Feste verkündet seiner
Hände Werk. Dieser erhabene Geist, welcher sich mit soviel Anstand ausdrückte,
wusste doch noch nicht, dass die Gestirne, die er betrachtete, Sonnen
wären. Er kam der Zeit zuvor und stimmte zuerst den majestätischen
Lobgesang an, den die künftigen, mehr erleuchteten Jahrhunderte nach ihm
zum Lobe des Herrn der Welten zu singen hatten.
Es war der heutigen Sternenkunde vorbehalten, nicht nur unseren Himmel mit neuen
Planeten zu bereichern, sondern auch die Grenzen unseres Sonnenwirbels viel
weiter hinauszusetzen. Die Kometen, welche ihres trügerischen Anblicks
halber, ihres Schweifes, ihres haarigen Kerns, ihrer den Planeten oft entgegengesetzten
und von ihnen verschiedenen Richtung, ihres Erscheinens und Verschwindens wegen
für Erscheinungen gehalten wurden, die eine erzürnte Macht in der
Luft angezündet hatte, diese Kometen sind zu planetischen Körpern
geworden, deren lange Laufbahnen unsere Sternenkundigen berechnen, ihre entfernten
Rückkehren vorhersagen und ihren Ort, ihre Annäherung und Entfernung
bestimmen. Vierzig dieser Körper anerkennen jetzt schon die Herrschaft
unserer Sonne, und die Bahnen, welche einige von ihnen um dieselbe beschreiben,
sind so sehr ausgedehnt, daß sie sie erst nach einer langen Reise von
Jahren oder wohl gar in vielen Jahrhunderten einmal durchlaufen.
Endlich sollte auch die neuere Sternenkunde den Menschen zeigen, dass die
Sterne wirklich unzählbar sind und daß die Sternbilder, worin die
Alten nur wenige Sterne zählten, ihrer einige Tausend enthalten. Der Himmel
des Thales und des Hipparchus war ziemlich arm, wenn
man ihn mit dem vergleicht, den uns Huygens, Cassini und Halley entdeckt haben.
Stolzer und unwissender Sterblicher! Hebe deine Augen nunmehr gen Himmel und
antworte mir: wenn man einige von diesen Lichtern am Sterngewölbe wegnähme,
würden deine Nächte wohl dunkler werden? Sage daher nicht, die Sterne
sind für mich ge¬macht, und das mit so majestätischem Glanze blitzende
Firmament ist meinetwegen da. Unsinniger! Du warst keineswegs der erste Gegenstand
der Mildtätigkeiten des Schöpfers, als er den Sirius stellte und ihm
seine Sphären zumaß
<es folgen weitere astronomische
Darlegungen nach dem Stande des Zeitwissens>.
V. Hauptstück
Vielheit der Welten
Wenn einige Kugeln, so groß und noch viel größer als unsere
Erde, sich gleich ihr um die Sonne und um sich selbst wälzen, wenn sie
dabei der gemeinsame Mittelpunkt des Umlaufes eines oder mehrerer Monate sind
und man auf ihnen vieles unserer Erde ähnlich antrifft, wenn diese Kugeln,
sage ich, ohne Bewohner wären, welches würde dann wohl ihre Bestimmung,
ihre Absicht sein?
Wie schlecht und wie unwürdig würde das Weltgebäude
der anbetungswürdigen Majestät des Schöpfers scheinen, wenn es
in die engen Grenzen dieses Haufens Kot, auf dem wir kriechen, eingeschlossen
wäre. Lasst uns unsern Geist erweitern, indem wir die Grenzen
des Weltgebäudes ausdehnen. Die Sterne, welche man nur mit dem Fernrohr
erblickt, sind unzählig: ihr Funkeln beweist, daß sie mit ihrem eigenen
Licht glänzen, und da sie in diesen unbeschreiblich größeren
Entfernungen, als es die des Saturn ist, noch gesehen werden, so können
wir daraus schließen, daß sie Sonnen sind. Unsere Sonne von einem
Fixstern gesehen, würde nur als ein Fixstern erscheinen. Es ist daher eine
unzählige Menge von Sonnen vorhanden. Wozu würden sie aber nützen,
wenn keine Dinge vorhanden wären, die von ihrem Licht und ihrer Wärme
Vorteil zögen? Ist es also nicht natürlich zu glauben, daß sie
andere Weltkörper erleuchten, welche ihres erstaunlichen Abstandes wegen
uns unsichtbar sind, und die, wie unsere Erde, ihre Produkte
und Bewohner haben?
Die Einbildung erliegt unter dem Gewicht der Schöpfung. Sie sucht die Erde
und findet sie nicht. Die Erde verliert sich in diesem entsetzlichen Haufen
himmlischer Körper wie ein Sandkorn in einem großen Berge. Indessen,
wer weiß es, ob in dem Mittelpunkte jeglicher dieser Welten nicht noch
ein Wirbel befindlich ist, der seine Sonne, seine Planeten, seine Trabanten,
seine Bewohner hat? Wer weiß es, ob in dem Mittelpunkte eines jeglichen
dieser kleinen Pla¬neten nicht noch ein proportionierlicher Wirbel befindlich
ist? Und wer weiß endlich, wo diese absteigende Stufenfolge aufhört?
Jedoch wir wollen uns höher erheben und mit den majestätischen Flügeln
der Offenbarung, über diese Myriaden von Welten aufgeschwungen, uns dem
Himmel nähern, wo Gott selbst wohnt.
Glänzende Vorhöfe der himmlischen Herrlichkeit,
ewige Wohnungen der seligen Geister, Allerheiligstes der Schöpfung, Licht,
wozu niemand kommen kann, erhabener Thron dessen, der da ist, wie könnte
dich ein Wurm beschreiben!
Zweiter
Teil
Von der Vollkommenheit
der Dinge im Verhältnis zueinander
VIII. Hauptstück
Die reinen Geister
Sind die reinen Geister, deren Möglichkeit wir wenigstens einsehen, wirklich
vorhanden? Und wenn sie es sind, halten sie sich nur in einer besonderen Gegend
auf, oder sind sie in allen Welten zerstreut? Ist ihre Natur vortrefflicher
als die der vermischten Wesen, oder gibt es welche unter ihnen, die so weit
unter anderen stehen wie die Muschelseele unter der menschlichen steht? Wenn
die reinen Geister vortrefflicher als die vermischten
Wesen sind, kommt dies z. T. daher, weil sie keinen Körper haben? Was haben die reinen Geister für Begriffe von der Materie
und ihren Veränderungen, vom Raume, von der Dauer, von der Bewegung? Wie
teilen sie sich ihre Gedanken mit? Haben sie mit Seelen, die mit Körpern
vereint sind, Gemeinschaft? Jedoch lasst uns diese eitle Neugier mäßigen.
Wird wohl ein vermischtes Wesen, das bloß durch Hilfe seines Körpers
erkennt und das ein jeder Schatten irre macht, jemals einsehen, was ein reiner
Verstand ist?
IX. Hauptstück
Unermessliche Kette der
Dinge
Zwischen der niedrigsten
und der höchsten Stufe der körperlichen oder geistigen Vollkommenheit
sind unzählige mittlere Stufen vorhanden. Aus der Reihe dieser Stufen besteht
die allgemeine Kette. Sie vereinigt alle Wesen, verbindet alle Welten und umgibt
alle Sphären. Bloß ein einziges Wesen ist außerhalb dieser
Kette, dasjenige nämlich, welches sie hervorgebracht hat.
Eine dicke Wolke verbirgt uns die schönsten Teile
dieser unermesslichen Kette und lässt uns nur einige übel
verbundene, unterbrochene und in sehr verschiedentlicher Ordnung befindliche
Glieder zu Gesicht kommen. Diese sind ohne Zweifel aus der natürlichen
Ordnung.
Wir sehen, wie sich diese Kette über die Oberfläche unserer Erdkugel
hinschlingt, wie sie ins Eingeweide derselben dringt, in die Tiefe des Meeres
herabgeht, sich wieder in die Atmosphäre erhebt und in den Räumen
des Himmels verliert, wo wir sie nur noch in einigen feurigen Zügen entdecken,
die sie hin und wieder von sich blicken läßt. Obgleich nun unsere
Kenntnis von dieser Kette der Dinge sehr unvollkommen ist, so ist sie dennoch
zureichend, von dieser herrlichen Stufenfolge und der
Mannigfaltigkeit der Dinge im Weltgebäude uns einen sehr hohen Begriff
zu machen.
X. Hauptstück
Mittlere Arten
Die Natur leidet keinen Sprung, alles geht in ihr stufenweise
und gleichsam durch Schattierungen. Wenn zwischen zwei Dingen irgend
ein Leeres wäre, was hätte wohl der Übergang des einen zum andern
für einen Grund. Es ist daher kein Wesen vorhanden, das nicht über
oder unter sich andere hätte, welche sich ihm durch einige Charaktere nähern
oder durch andere von ihm entfernten. Von diesen Charakteren, welche die Dinge
unterscheiden, entdecken wir nun die mehr oder weniger allgemeinen. Daraus entstehen
unsere Einteilungen in Klassen, in Geschlechter, in Arten.
Diese Einteilungen lassen sich inzwischen nicht trennen. Denn es finden sich
allemal zwischen zwei Massen oder zwischen zwei angrenzenden Geschlechtern mittlere
Naturstücke, die weder zu einem, noch zum andern zu gehören, sondern
sie nur zu verbinden scheinen. Der Polyp verbindet die Pflanze mit dem Tier,
das fliegende Eichhorn verknüpft den Vogel mit dem vierfüßigen
Tier, und der Affe hat vieles vierfüßigen Tiere und vom Menschen
an sich.
<Nach vierzig Hauptstücken
und rund 600 Seiten schließt die Arbeit:>
Beschluss
Und so beschließe ich hiermit meine Arbeit. Ich habe genug Begebenheiten,
und zwar wichtige Begebenheiten, vorgestellt, woraus meine Leser über das
Vergnügen <= Ver-ge-nügen> urteilen
können, das mit der Betrachtung der Natur verknüpft ist. Es würde
aber diese Betrachtung sehr unfruchtbar sein, wenn sie
uns nicht zu dem Urheber der Natur leitete.
Diesen anbetungswürdigen Schöpfer muss man in der unermesslichen
Kette der mancherlei Naturwerke unaufhörlich suchen, wo seine Macht und
Weisheit mit so viel Wahrheit und Glanz abgebildet sind. Er offenbart sich uns
nicht unmittelbar, dies litte der Plan nicht, den er ausgeführt hat. Er
hat aber dem Himmel und der Erde anbefohlen, uns zu verkündigen, was er
ist. Er hat unsere Einsichten nach dieser göttlichen Sprache eingerichtet
und erhabene Seelen erweckt, welche die Schönheit derselben erforschten
und derselben Ausleger würden. Wir sind einige Zeit lang auf einen kleinen,
ziemlich dunklen Planeten verwiesen und haben nur den Teil vom Lichte, der sich
für unsern gegenwärtigen Zustand schickt. Lasst
uns alle Strahlen dieses Lichtes aufs sorgfältigste sammeln, laßt
uns keinen einzigen davon verlieren und bei dessen Klarheit fortwandeln. Es
kommt ein Tag, da wir anstatt den Werkmeister in seinem Werke zu betrachten,
das Werk in dem Werkmeister erkennen werden. Jetzt sehen wir undeutlich und
wie in einem dunklen Spiegel, dann aber von Angesicht zu Angesicht. S.95ff.
Aus: Das Zeitalter der Aufklärung. Herausgegeben von Wolfgang Philipp
In der Reihe: Klassiker des Protestantismus. Herausgegeben von Christel Matthias
Schröder Band VII, Sammlung Dieterich . Carl Schünemann Verlag Bremen