Bonaventura,
eigentlich Johannes Fidanza (1221 - 1274)
>>>Gott
Von den fünf Festen des
Kindes Jesu
Vorwort
Nach dem Urteil der ehrwürdigen Männer, die in der Kirche Gottes durch
göttliche Einstrahlung reiner erleuchtet, — deren Gedanke durch die
himmlische Andacht und deren Lehre durch des süßen Jesu Betrachtung
überströmender entflammt ist, - ergötzt des fleischgewordenen
Wortes fromme Beschauung den andachtsvollen Geist mehr als Honig und aller duftenden
Salben Wohlgerüche, — beseligt ihn lieblicher, berauscht ihn süßer,
tröstet und stärkt ihn vollkommener denn alles dieses. So geschah
es denn, als ich der lärmenden Unruhe zufälliger Gedanken mich ein
wenig entzogen hatte und bei mir selbst im geheimen bedachte, was ich zu dieser
Zeit über die göttliche Inkarnation im Geiste
erwägen solle — (woraus ich etwa ein
wenig göttlicher Süßigkeit in diesem Tale der Tränen wie
im Spiegel verkostete, um danach zeitliche und eingebildete Tröstung vollkommener
zu verschmähen) — so geschah es, daß heimlich mir in
den Sinn fiel:
es könne die gottandächtige Seele Gottes, des
Vaters, gebenedeites Wort und eingeborenen Sohn
durch die vermittelnde Gnade des Heiligen Geistes
aus der Kraft des Allerhöchsten im Geiste empfangen, gebären, benennen,
mit den seligen Weisen suchen und anbeten und es endlich Gott, dem Vater, nach
dem Gesetze Mosis im Tempel glückselig darbringen,
— und so vermöchte sie gleichsam als wahre Jüngerin der christlichen
Frömmigkeit die fünf Feste,
welche die Kirche zu Ehren des Kindes Jesu begeht, andächtigen Sinnes mit
aller Ehrfurcht zu feiern.
Und wie ich es demütig im Geiste empfangen, so habe ich es in demütigen
Worten schriftlich zusammengestellt; der Kürze halber es unterlassend,
die hiermit zusammentreffenden Aussprüche von Gewährsmännern
anzuführen. Sollte jemand bei Lesung oder Betrachtung dieser kurzen und
geringen Abhandlung auch nur ein wenig Andacht zum allersüßesten
Jesus empfangen, so möge er diesen loben und benedeien, als aller Güte
Urheber, Quelle und Anfang; wenn aber nicht, so möge er mir, der es an
zulänglicher und würdiger Schreibart fehlen läßt, vielleicht
aber auch dem eigenen Mangel an frommer und demütiger Art zu lesen, —
es anrechnen und zuschreiben.
Das erste Fest
Auf welche Weise der Sohn
Gottes Christus Jesus von dem Gemüte geistlich empfangen werde
1. Zu Beginn also, — nachdem der Verstand durch das Bad
der Reue gereinigt und das Gefühl durch der Liebe Feuer entflammt und gehoben
worden, — ist in keuschen Betrachtungen und andächtigen Erwägungen
tief zu durchdenken, auf welche Art der gebenedeite Gottessohn Christus
Jesus von dem andächtigen Gemüte geistlich zu empfangen sei.
Wenn die andächtige Seele, sei es durch Hoffnung himmlischen Lohnes, sei
es durch Furcht ewiger Strafe, sei es durch Überdruß, länger
noch in diesem Tale der Tränen zu weilen, ange¬trieben und gestachelt,
— von neuen Eingebungen heimgesucht, von heiligen Gefühlen entflammt,
von himmlischen Erwägungen in Unruhe versetzt und nach endlichem Abwerfen
und Verachten der alten Fehler und früheren Wünsche unter Fassung
eines neuen Lebensvorsatzes vom »Vater der Lichter,
von dem jede beste Gabe und jedes vollkommene Geschenk«, innerlich
durch den Geist der Gnade befruchtet wird; was geschieht dann anderes als dies:
daß — überkommen von der Kraft des Höchsten und der Überschattung
himmlischen Erquickens, welche die fleischlichen Begierden sänftigt, die
geistlichen Augen zum Sehen kräftigt und unterstützt, — der
himmlische Vater mit einer Art göttlichen Samens die Seele schwanger macht
und befruchtet? —
Nach dieser allerheiligsten Empfängnis erbleicht
die Seele im Angesicht durch wahre Demut im Wandel, — Ekel an Speise und
Trank steigt auf in ihrem Geiste als völlige Verachtung und Verwerfung
der irdischen Dinge, — sie wandelt sich um in Verlangen und Neigung, indem
sie neuartige Güter sich vorsetzt und anstrebt, ja endlich beginnt sie
sogar gleichsam hinfällig und krank zu werden, indem sie den eigenen Willen
verwirft. Schon nämlich geht sie einher in Trauer und innerem Sturme wegen
der alten Fehler Verschuldung, wegen des Verlustes der Zeit, wegen der Geselligkeit
und des Wandels mit denen, die in der Welt auf die Weise der Welt ihr Leben
führen. Schon beginnt allmählich zu Last und Überdruß alles
zu sein, was außen ist und außen gewahrt wird, weil man es nun als
jenem mißfällig gewahrt, den man im Innern empfängt und verspürt.
2. O glückselige Empfängnis, der eine solche Verachtung
der Welt und solch ein Verlangen folgt, das Himmlische zu wirken und von dem
Göttlichen erfüllt zu sein! Schon, wenn auch erst ein weniges, »widersteht
der Seele das Fleisch, nachdem sie den Geist im Seufzer verkostet«,
schon beginnt sie mit Maria zu dem Gebirge emporzusteigen,
denn nach solcher Empfängnis verschmäht man die Dinge der Erde und
ersehnt das Himmlische und Ewige. Schon beginnt sie, jener Menschen Gesellschaft
zu fliehen, die »am Irdischen Wohlgeschmack fühlen«,
und strebt nach derer Vertraulichkeit, die nach dem Himmlischen begehren. Schon
beginnt sie »Elisabeth zu dienen«, das ist: jenen, die
göttliche Weisheit erleuchtet und göttliche
Gnade zu höherer Liebe in Flammen setzt. Und dies tritt deutlich hervor,
denn vielen geschieht es so mit Notwendigkeit:
Je mehr sie der Welt sich entziehen, um so inniger werden sie den guten Menschen
liebenswert und vertraut, so daß um so mehr der Schlechten Gesellschaft
ihnen widerstrebt, je süßer der Guten und geistlich Lebenden ehrenhafter
Umgang ihre Liebe weckt und in Flammen setzt; »denn«,
wie der hl. Gregorius sagt, »wer
einem heiligen Manne anhängt, dem wird zuteil, daß er — durch
jenes Mannes beständigen Anblick, durch seiner Unterredung Genuß,
durch seines Wandels Beispiel selbst entbrennt in Liebe zur Wahrheit, daß
er der Sünden Finsternis flieht und zur Liebe des göttlichen Lichtes
entflammt wird« Darum sagt Isidorus:
»Suche auf der Guten Gesellschaft. So nämlich fügt es sich:
Wie du warst Genosse des Umgangs, so wirst du auch sein Genosse der Tugend.«
— Hier bedenke die gläubige Seele, wie keusch, wie heilig
und andächtig jener Heiligen Gespräche waren, wie göttlich und
heilsam die Ratschläge, wie wunderbar heilig und innig ge¬meinschaftlich
in gegenseitiger Anteilnahme die Werke, indem ein jeder den andern durch Wort
und Beispiel zum Besseren aufrief.
3. So magst du denn tun, andächtige Seele, wenn du vom
Heiligen Geiste neue Sehnsucht zu himmlischem Leben
empfangen zu haben fühlst. Flieh der Schlechten Gemeinschaft, steige hinan
mit Maria, suche der geistlichen Männer Rat,
mühe dich der Vollkommenen Fußtapfen nachzufolgen, betrachte der
Guten Worte, und ebenso ihre Werke und Beispiele. —
Fliehe der Verderbten giftige Ratschläge, die stets zu verkehren trachten
und zu hindern streben, die ohne Unterlaß die neue Sehnsucht des Heiligen
Geistes verunglimpfen und allzu oft unter dem Anschein der Frömmigkeit
das Gift verruchter Lauheit einträufeln; indem sie sagen: »Allzu
groß ist dies dein Beginnen, allzu steil der Weg deines Vorsatzes, unerträglich
das, was du tust. Die Kräfte stehen dir nicht zu Gebote; die natürlichen
Fähigkeiten ermangeln; der Kopf wird verwirrt; die Augen verderben; Krankheiten
wird vielerlei Nahrung geboten; Schwindsucht, Lähmung, Stein, Schwindel
des Kopfes, Verdunkelung der Vernunft und Verfall der Kräfte — all
dem wirst du unterliegen, wenn du dich nicht des Begonnenen enthältst und
mehr auf den Vorteil des Körpers achtest. Für deinen Stand ist solches
nicht ziemlich, durch dies wird Ehre verringert und Ansehen« —
Du siehst, wie schon zum Lehrer der Zucht und zum Arzt des Leibes geworden,
der weder die eigenen Sitten zu ordnen weiß noch des eigenen Gemütes
Krankheit zu heilen. Wehe, wehe, wie Viele und wie Große hat der verfluchte
Ratschlag der weltlich Gesinnten zu Fall gebracht, die Empfängnis des Gottessohnes
durch den Heiligen Geist in ihnen erstickend! Dies ist jener elende Trank, jene
todbringende teuflische Überredung, die in vielen die geistliche
Empfängnis verhindert, in den meisten die schon im Vorsatz geformte oder
im Gelübde vollzogene Empfängnis tötet und auslöscht.
4. Doch gibt es auch andere, die als gut und fromm erscheinen
und vielleicht es auch sind; allzu furchtsam jedoch — so reden wir unbeschadet
der Ehrerbietung — bedenken sie nicht, daß »noch nicht verkürzt
ist die Hand des Herrn, so daß er nicht zu retten vermöchte«,
und erwägen nicht, daß noch nicht kleiner geworden die Liebe des
Höchsten, so daß er nicht helfen wollte und könnte, —
und so »haben sie den Eifer Gottes, aber nicht gemäß
der Wissenschaft«, da sie aus Mitgefühl mit körperlichem
Leiden oder in Befürchtung natürlicher Schwäche — indessen
sie andere mannhaft vollführen sehen, was sie selbst schon längst
für gut und heilig erachtet und dennoch nicht gewagt in Angriff zu nehmen
— die Menschen zurückziehen von den Werken der Vollkommenheit. Sie
raten ab von dem, was über den Stand des gemeinen Lebens hinausgeht, und
vernichten die heiligen Ratschläge der göttlichen Eingebung, welche,
je mehr sie in Hinsicht des Lebens die höchste Bürgschaft, —
von jenen eben um so mehr für gefahrvoll erachtet werden.
5. Diese reden zuweilen, indem sie sehr schlau nach des alten
Feindes Erfindung einwerfen: »Wenn du dies oder
jenes tust, wirst du für einen Heiligen, für einen guten und andachtsvollen
Ordensmann gelten. Und da in dir noch nicht ist, was die andern von dir vermeinen,
wirst du im Angesicht des höchsten Richters, der deine großen, schweren
und abscheuerweckenden Sünden kennt, ein Schuldiger sein, wirst das Verdienst
deines Werkes verlieren und als einer, der heuchelt und Tugend vorspiegelt,
gerichtet werden.« Solche Übungen nennen sie Sache jener,
die keinerlei Schlechtes getan, die heilig und schuldlos gelebt, die alles um
Gottes willen verlassen, die zu aller Zeit des Lebens Gott in vollkommener Weise
angehangen.
6. Aber auch diese, geliebte, gottandächtige Seele, sollst
du meiden; »steige hinan zu dem Berg«
mit Maria. Nicht hatte Paulus
ohne Sünde gelebt, nicht lange hatte er Gott gedient, als er bis in den
dritten Himmel entrückt ward und Gott von Angesicht zu Angesicht schaute.
Maria Magdalena, ganz hochmütig, ganz der weltlichen Eitelkeit zugewandt,
des Fleisches Begierden sich völlig überlassend, saß nicht lange
danach zu Jesu Füßen unter den heiligen Aposteln und lauschte der
andachtsvoller Lehre der Vollkommenheit; als erste von allen ward sie bald danach
Gott zu schauen gewürdigt, und sie war es auch, die den andern die Worte
der Wahrheit beharrlich verkündete. Denn »nicht
sieht Gott auf die Person«, nicht mißt er nach dem Adel des
Geschlechtes, nicht nach der Länge der Zeit, nicht nach der großen
Zahl der Werke, sondern nach der höheren Glut und der größeren
Liebe des andächtigen Gemütes. — Nicht nämlich fällt
für ihn ins Gewicht, wie du einst gewesen, sondern wie zu sein du soeben
begonnen. — Jener Menschen Ratschläge würden deshalb gar sehr
zu tadeln sein, wären sie nicht durch — freilich zu mißbilligende
— Einfalt entschuldigt.
7. Kannst du also nicht durch Unschuld Rettung erlangen, so
trachte danach, durch Reue gerettet zu werden; vermagst du es nicht, Katharina
oder Cäcilia zu sein, so sollst du es nicht verachten, Maria Magdalena
oder Maria von Ägypten zu sein.
Flieh darum eilends, wenn du in heiligem Vorsatz Gottes süßesten
Sohn empfangen zu haben fühlst, vor jenen tödlichen Giften, und strebe
sehnlichst nach Art einer Schwangeren, glücklich zur Geburt zu gelangen.
Das zweite Fest
Auf welche Weise der Sohn Gottes im andächtigen Gemüt geistlich geboren
werde
1. Zum zweiten achte darauf und erwäge, wie dieser gebenedeite
Gottessohn, der schon geistlich empfangen, — geistlich im Gemüte
geboren werde. Geboren wird er nämlich, wenn nach Fassung eines gesunden
Vorsatzes, nach hinlänglicher Erwägung des zu Tuenden, nach Anrufung
der göttlichen Hilfe, der heilige Vorsatz zur Ausführung gebracht
wird; wenn bereits die Seele beginnt, im Werk zu vollführen, was sie lange
im Geiste erwogen, aber dennoch sich anzugreifen gescheut aus Furcht, sie würde
versagen. Bei dieser allerseligsten Geburt frohlocken die Engel, lobpreisen
Gott und verkünden den Frieden — denn wahrlich, wiederhergestellt
wird der Friede des inneren Menschen, wenn so, was längst schon im Geiste
empfangen, in gutem Werke zur Tat wird.
Nicht nämlich wird im Reiche der Seele der Friede wohl bewahrt, wenn das
Fleisch dem Geiste, der Geist dem Fleische widerstrebt; wenn der Geist das Alleinsein,
und das Fleisch die Menge liebt; wenn den Geist Christus
ergötzt und das Fleisch die Welt; wenn der Geist die Ruhe gottvereinter
Beschauung sucht und das Fleisch der Ehre weltlichen Ranges nachstrebt. Wird,
umgekehrt, das Fleisch dem Geiste untertan — nachdem, was lange Zeit durch
das Fleisch verhindert, endlich verwirklicht worden —, so stellt dies
endlich den inneren Frieden und inneren Jubel wieder her. O wie selig die Geburt,
der solche Freude der Engel und Menschen folgt! »O
wie süß und beseligend wäre es, sich gemäß der Natur
zu verhalten, wenn jener Wahnsinn von uns ließe, nach dessen Heilung sogleich
die Natur dem Natürlichen freundlich lächelte!«
(S. Bern.) Schon würde man dann
erfahren, daß wahr ist jenes Wort des Evangeliums: »Nehmet
mein Joch auf euch« usw., und das Folgende:
»Und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist süß
und meine Bürde leicht.«
2. Aber dies ist hier zu beachten, andächtige Seele: Wenn
diese freudevolle Geburt dich beseligt, so ist es an dir, vorher Maria zu sein.
»Maria« wird nämlich übersetzt
als »bitteres Meer«, als »Erleuchterin«
und als »Herrin«.
So sei denn ein »bitteres Meer« durch
tränenvolle Zerknirschung, so daß du über die begangenen
Sünden bittersten Schmerz empfindest, über das unterlassene Gute aufs
tiefste seufzest, über die vernachlässigten und verlorenen Tage unaufhörlich
dich betrübst. —
Sei zum zweiten eine »Erleuchterin«
durch ehrenhaften Wandel, durch tugendvolle Werke und
durch eifrige Unterweisung der andern im Guten. —
Sei drittens endlich eine »Herrin« der
Sinne, der Begierden des Fleisches und aller deiner
Werke, so daß du alle Handlungen nach dem richtunggebenden Urteile
der Vernunft lenkest und in ihnen allen deine Rettung, des Nächsten Erbauung,
Gottes Lobpreis und Herrlichkeit anstrebst und suchest.
3. Dies ist jene glückselige Maria, die um der begangenen
Sünden willen trauert und seufzt, die in Tugend erstrahlt und glänzt,
die die fleischlichen Lüste beherrscht. Von dieser Maria geistlich geboren
zu werden, — freudenvoll, ohne Schmerz und ohne Mühsal, — verschmäht
Jesus Christus nicht. Nach dieser glückseligen
Geburt erkennt und schmeckt sie, wie »süß
der Herr« Jesus. Und er ist wahrlich süß, wenn er genährt
wird durch heilige Betrachtungen, wenn er gebadet wird in andachtsvollen und
warmen Quellen von Tränen, wenn er eingehüllt wird in den keuschen
Hüllen sehnsüchtiger Wünsche, getragen wird in der Liebe Umarmungen,
stets von neuem geküßt durch häufige Gefühle der Andacht
und gewännt am inneren Busen des Gemütes. So
also wird das Jesuskind geistlich geboren.
Das dritte Fest
Auf welche Weise das Jesuskind
von der andächtigen Seele geistlich zu benennen sei
1. Zum dritten ist zu betrachten, wie dieses gebenedeite Kindlein,
das geistlich geboren ist, zu benennen sei. Und ich meine, daß es nicht
passender genannt werden kann als Jesus, da geschrieben ist: »Mit
Namen wurde er >Jesus< genannt«. Dies ist jener heiligste
Name, von den Propheten vorausgesagt, von den Engeln verkündet, von den
Aposteln gepredigt, von allen Hei¬ligen ersehnt. O Name voll Kraft und Gnade,
voller Freude, Wonne und Herrlichkeit! Voll Kraft, denn er besiegt die Feinde,
stellt wieder her die Kräfte, erneuert die Geister; — voller Gnade,
denn in ihm besitzen wir des Glaubens Begründung, des Hoffens Befestigung,
der Liebe Vermehrung, der Gerechtigkeit Ergänzung; — voller Freude,
denn er ist »Frohlocken im Herzen, Gesang im Ohre,
Honig im Munde«, Strahlen im Geiste — voll süßer
Wonne, denn »gedacht, gibt er Nahrung, — ausgesprochen
Sänftigung, — angerufen Salbung«, — geschrieben
Erquickung, — gelesen Unterweisung; — ein Name wahrhaft der Herrlichkeit
voll, denn den Blinden verleiht er das Gesicht, den Lahmen den Gang, den Tauben
das Gehör, Sprache den Stummen, Leben den Gestorbenen. Wahrlich also gebenedeiter
Name, der so große Wirkung seiner Kraft offenbart! O Seele, ob du schreibest,
oder lesest, oder lehrst oder was immer tuest, — möge nichts dir
schmecken, nichts dir Wohlgefallen außer Jesus! So nenne denn »Jesus«
dein Kindlein, das in dir geistlich geboren ist: den »Erlöser«
— in dieses Lebens Verbannung und Elend; erlösen möge es uns
von der Eitelkeit der Welt, die dich anficht, von des
Teufels Falschheit, die dich bedroht, von der Schwachheit des Fleisches, die
dich quält.
2. Rufe, o andächtige Seele, unter so zahlreichen Geißeln
dieses Lebens: O Jesu, Erlöser der Welt, erlöse uns, der du uns durch
dein Kreuz und Blut erkauft hast, hilf uns, Herr, unser Gott! Erlöse —
so sage ich — allersüßester Jesu
Erlöser, durch Stärkung des Schwachen, durch Tröstung des Betrübten,
durch Stützung des Gebrechlichen, durch Festigung des Unbeständigen.
3. O welche Süßigkeit fühlte immer von neuem,
nach der Verleihung des gebenedeiten Namens, jene glückselige Mutter, die
Jungfrau. Maria, die Mutter war der Natur nach und wahrhaft auch geistigerweise,
— als sie inne ward, daß in diesem Namen die bösen Geister
vertrieben, die Wunder gehäuft, die Blinden erleuchtet, die Kranken geheilt,
die Toten wiedererweckt zu neuem Leben! So mußt auch du, o Seele, geistliche
Mutter, gewiß nach Gebühr dich freuen und jubeln, wenn du in dir
und anderen wahrnimmst, wie dein gebenedeites Kind Jesus »Teufel
austreibt« im Abstehen von der Sünde, »die
Blinden erleuchtet« durch Eingießen der wahren Erkenntnis,
»die Toten wiedererweckt« in Erweisung der Gnade, »die
Kranken gesund macht, die Lahmen heilt, die Gelähmten und Verkrümmten
gerade richtet« in der geistlichen Stärkung, so daß
durch die Gnade nun kräftig und mannhaft werden, die vorher hinfällig
und schwach durch die Schuld. O wie glücklich und selig der Name, der solche
Tugend und Wirkung zu besitzen gewürdigt!
Das vierte Fest
Auf welche Art der Sohn Gottes
von der andächtigen Seele in Gemeinschaft mit den Weisen zu suchen und
anzubeten sei
1. Es folgt die vierte Feier, die in der Anbetung der Weisen
besteht. Nachdem nämlich die Seele dieses allersüßeste Kind
durch die Gnade geistlich empfangen, geboren und benannt hat, erachten drei
Könige, das ist: drei Kräfte der Seele, — die sehr gut »Könige«
genannt werden, da sie bereits dem Fleische gebieten, die Sinne beherrschen
und, wie sich ziemt, nur mit gottgerichtetem Streben befaßt sind, —
sie erachten, das Kind, welches schon durch vielfache Wirkung in der königlichen
Stadt — das ist: im Gebäude der ganzen Welt — ihnen offenbart
ist, nunmehr suchen zu müssen. So suchen sie denn in Betrachtungen, forschen
nach in Bewegungen des Gemütes, fragen in frommen Gedanken:
»Wo ist, der geboren worden? Gesehen haben wir seinen Stern im Aufgang«;
gesehen haben wir. seine Helle aufleuchten im frommen Gemüt, gesehen
seinen Schimmer, erglänzend im Innersten der Seele, gehört seine Stimme,
die die allersüßeste, geschmeckt seine Süßigkeit, die
die allerlieblichste, — empfunden seinen holdesten Duft, empfangen seine
beseligendste Umarmung. Nun, Herodes, gewähre
Antwort, zeige den Geliebten, weise das ersehnte Kindlein. Dieses ist es, nach
dem wir verlangen und suchen.
2. »O süßester, o liebeerfülltester
ewiger Knabe, du Kind von alters her lebend, wann werden wir dich sehen, wann
dich finden, wann vor deinem Angesicht erscheinen? Überdruß ist,
ohne dich sich zu freuen, Seligkeit, mit dir sich zu freuen, wie mit dir zu
weinen. Alles, was dir entgegen, ist uns zur Last; was dir wohlgefällt,
unsere unauslöschliche Sehnsucht. O — ist es so süß, um
dich zu weinen, welche Süßigkeit muß es wohl sein, an dir sich
zu freuen!« Wo also bist du, den wir suchen? Wo bist du, den wir
in allem uns vor allem ersehnen? »Wo bist du, der
du geboren bist als Herrscher der Juden« — als
Gesetz der Frommen, als Leuchter der Blinden, als Leben der Sterbenden, als
das ewige Heil der in Ewigkeit Lebenden?
3. Es folgt als passende Antwort: »Zu Bethlehem
in Juda.« »Bethlehem«
wird als »Haus des Brotes«, »Juda«
als »der Bekennende« übersetzt.
Dort nämlich wird Christus gefunden, wo nach Bekenntnis der Vergehungen
das Brot des himmlischen Lebens, das ist: des Evangeliums Lehre gehört,
erwogen und andächtigen Sinnes bewahrt wird — auf daß sie im
Werke sich erfülle und den andern als ein zu Erfüllendes vor Augen
trete. Dort wird das Jesuskind, mit Maria, der Mutter, gefunden, wo nach
tränenvoller Reue und fruchtbringendem Schuldbekenntnis die
himmlische Süßigkeit der Beschauung und Tröstung zu ihrer
Zeit inmitten reichlichster Tränen verkostet wird, wenn das Gebet den Geist,
den es fast in Verzweiflung gefunden, voll Freude und auf Vergebung hoffend
zurückläßt. O glückselige Maria, von welcher Jesus empfangen
wird, aus der er geboren, mit der er so süß und so freudigerweise
gefunden!
Aber auch ihr, o Könige, das besagt: ihr natürlichen Kräfte der
andächtigen Seele, sollt suchen mit den irdischen Königen, auf daß
ihr ihn anbetet und Geschenke darbringet. Betet an mit Ehrfurcht, denn er ist
der Schöpfer, Erlöser
und Vergelter:
Schöpfer in des natürlichen
Lebens Erzeugung,
Erlöser in des geistlichen
Lebens Wiederherstellung,
Vergelter in des ewigen Lebensspendung.
O ihr Könige, betet an mit Ehrfurcht, denn er ist der allermächtigste
König, betet an nach Gebühr, denn er ist der allerweiseste Lehrer,
betet an mit Freude, denn er ist der freigebigste Fürst. —
Und nicht genüge Euch Anbetung, wenn sie nicht mit der Gaben Darbringung
vereint ist. Bringet dar, so sage ich, das Gold der brennendsten Liebe, bringet
dar den Weihrauch der andächtigsten Beschauung, bringet dar die Myrrhe
der bittersten Reue: das Gold der Liebe wegen der gespendeten Güter, den
Weihrauch der Andacht wegen der vorbereiteten Freuden, die Myrrhe der Reue wegen
der begangenen Sünden, — das Gold bietet dar seiner ewigen Göttlichkeit,
den Weihrauch der Heiligkeit seiner Seele, die Myrrhe der Leidunterworfenheit
des Körpers. — So suchet denn, ihr Kräfte der Seele, betet an
und bringet Geschenke dar!
Das fünfte Fest
Auf welche Weise der Sohn Gottes im Tempel dargebracht werde
1. Zum fünften und letzten betrachte die andächtige
und glaubensvolle Seele, auf welche Weise das Kind — geboren durch Vollbringung
gotterfüllter Werke, benannt durch Verkosten himmlischer Süßigkeit,
gesucht und gefunden, angebetet und geehrt durch Darbringung geistlicher Gaben
— im Tempel darzustellen sei, um dem Herrn aufgeopfert zu werden, —
nämlich durch andächtiges und demütiges Abstatten des geschuldeten
Dankes.
Nachdem nämlich diese glückselige Maria, Jesu geistliche Mutter, in
des gebenedeiten Sohnes Empfängnis gereinigt ward durch die Buße,
nachdem sie in etwa bereits in der Geburt gestärkt durch die Gnade, nachdem
sie auch schon durch Verleihung des gebenedeiten Namens im Innersten getröstet
und endlich in der Anbetung mit den Königen göttlich unterwiesen,
was bleibt anderes, als daß sie nach dem himmlischen Jerusalem trage in
den Tempel der Gottheit, und dort darstelle jenen, der
Gott ist, Gottes und der Jungfrau Sohn?
2. Steige also hinan, geistliche Maria, nicht mehr zu den Gebirgen,
sondern zu den Wohnstätten des himmlischen Jerusalems, zu den Palästen
der Stadt in der Höhe. Dort, vor dem Throne der ewigen
Dreifaltigkeit und unteilbaren Einheit beuge in Demut das geistliche
Knie; dort stelle Gott, dem Vater, deinen Sohn dar, —
indem du den Vater und den Sohn mit dem Heiligen Geiste lobest, rühmst
und benedeiest.
Lobe mit Frohlocken Gott, den Vater, durch dessen Eingebung
du den guten Vorsatz empfangen.
Rühme mit Lobpreis Gott, den Sohn, durch dessen innere Unterweisung du
den empfangenen Vorsatz im Werke ausgeführt.
Benedeie und ehre die Heiligkeit Gottes, des Heiligen Geistes, durch dessen
Tröstung du in der guten Übung bis jetzt verharrt bist.
3. O Seele, rühme Gott, den Vater, in all seinen Gaben
und all deinen Gütern, denn er selbst ist es, der dich aus der Welt durch
verborgene Eingebung hinwegberufen, gleichsam sprechend: Kehre um, kehre um,
Sunamitin. —
Gott, den Sohn, verherrliche in allen seinen Heiligen. Er selbst nämlich
ist es, der von des Teufels Knechtschaft durch
seine heimliche Unterweisung dich befreit hat — indem er sprach: »Nimm
mein Joch auf dich« — das Joch des
Teufels wirf von dir. Sein Joch ist das bitterste,
meines das süßeste. Seinem
Joch wird folgen ewige Qual und Marter, dem meinen
süßeste Frucht und Erquickung in Fülle. Gewährt
das seine jemals Süßigkeit, so ist sie trügerisch und augenblicklich;
wenn meines Freude spendet, so ist sie wahrhaft und heilsam. Jener erhebt seine
Diener für kurze Zeit um ein weniges, um sie für ewig zuschanden zu
machen, — wer mir hingegen Ehre erweist, wird solcher Art für den
Augenblick erniedrigt, daß er ewig herrscht und in Glorie steht. -
Dieses war die Lehre durch welche der Gottessohn — zuzeiten durch sich
selbst, zuzeiten durch seine Lehrer und Freunde — dich unterwiesen und
von des Teufels lügenhafter Überredung, von
des Fleisches und der Welt schmeichlerischer Täuschung befreit hat. —
Und Gott, den Heiligen Geist, sollst du stets benedeien und heilig verehren,
— der durch seine honigfließende Tröstung dich im Guten gestärkt
hat, sprechend: »Kommet zu mir, alle, die ihr mühselig
und beladen seid, und ich werde euch erquicken.«
Denn wie, o Seele, so schwach und zart, so gebrechlich und hinfällig,
gewöhnt an die Lüste der Welt, von den Freuden dieser Zeit wie von
unflätigem Wein in der Art von Schweinen berauscht, — wie hättest
denn du unter so vielen und gefährlichen Netzen des alten Feindes, unter
soviel falschen Ratschlägen, unter so vielfältigen Hindernissen, unter
so zahllosen Geschossen der Freunde, Verwandten und anderen nahestehenden Menschen,
die dich von dem Wege der Liebe zurückzuziehen suchten, — im Guten
verharren, ja, von soviel Sündenfesseln umwunden, sogar im Guten fortschreiten
können, — hätte dir nicht die Gnade des
Heiligen Geistes barmherzig zur Seite gestanden und gar oft dir süße
Tröstung und Erquickung gespendet? Auf ihn denn führe all deine Werke
zurück, für dich sollst du nichts zurückbehalten.
4. Sprich mit reiner und andachtsvoller Meinung des Gemütes:
»All meine Werke hast du vollbracht, o Herr«,
in deinem Angesicht bin ich nichts, vermag ich nichts; von deinem Schenken rührt
her, daß ich bin, ohne dich kann ich nichts vollbringen. Dir, o mildester
»Vater der Erbarmungen«, biete ich
dar, was deines ist, dir empfehle, dir übergebe ich mich Unwürdigen,
und als undankbar für all deine Gaben erkenne ich mich in Demut. Dir sei
Lob, dir Ruhm, dir Danksagung, heiligster Vater, ewige Majestät, der du
mich durch deine grenzenlose Macht aus dem Nichts erschaffen! —
Dich lobe, dich rühme, dir danke ich, heiligster
Sohn, Abglanz des Vaters, der du durch deine ewige
Weisheit mich vom Tode befreit! — Dich benedeie ich, dich heilige
ich, dich bete ich an, Heiliger Geist, hocherhabener,
der du mich durch deine gebenedeite Güte und Milde
von der Sünde zur Gnade,
von der Welt zum gottseligen
Leben, von der Verbannung zur Heimat,
von der Mühsal zur Ruhe,
von der Trauer zur Süßigkeit des heitersten
und freudenreichsten seligen Genusses berufen! Den
uns gewähre Jesus Christus, Mariä, der Jungfrau, Sohn, der mit dem
Vater und dem Heiligen Geiste lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen!
S.7ff.
Aus: Bonaventura, Mystisch-Aszetische Schriften, Erster Teil. Nach der Ausgabe
von Quaracchi übertragen und herausgegeben von Siegfried Johannes Hamburger.
1923 Theatiner-Verlag München