Léon Bloy (1846 – 1917)

 

Französischer Schriftsteller, der sich in seinen Schriften leidenschaftlich gegen menschliche und religiöse Laschheit wandte, sowie das Bürgertum und die Geistlichkeit angriff. Insbesondere waren ihm die Reichen ein stechender Dorn im Auge, denn »das Recht auf Reichtum« war für ihn »eine tatsächliche Verneinung des Evangeliums und eine menschenfressende Verhöhnung des Erlösers«.

Siehe auch Wikipedia

 

Das Blut der Armen
Das Blut der Armen ist das Geld. Seit Jahrhunderten ist es eine Speise des Lebens und des Todes. Es ist bildhaft der Inbegriff alles Leidens. Es ist der Ruhm und die Macht. Es ist die Gerechtigkeit und die Ungerechtigkeit. Es ist die Qual und die Lust. Es ist hässlich und anbetungswürdig, brennendes und blutüberströmtes Symbol Christi, des Erlösers, in quo omnis constant.

Das Blut des Reichen ist ein stinkender Eiter, der aus den Schwären Kains fließt. Der Reiche ist ein böser Armer, ein stinkender, lumpiger Bettler, vor dem die Sterne Angst haben.

Die Offenbarung lehrt uns, dass Gott allein arm ist, und dass sein einziger Sohn der einzige Bettler ist. «Solus tantummodo Christus est qui in omnium pauperum universitate mendicet», sagte Salvian. Sein Blut ist das Blut der Armen, durch das die Menschen «erkauft sind um hohen Preis». Sein kostbares Blut, das ganz rot und ganz rein ist, kann alles bezahlen.

Das Geld muß also sein Abbild sein: das Geld, das gegeben wird, das ausgeliehen wird, das verkauft wird, das verdient wird, das gestohlen wird; das Geld, das tötet und lebendig macht wie das Wort, das Geld, das angebetet wird, das eucharistische Geld, das getrunken und gegessen wird. Es ist die Wegzehrung für die unstete Lebensgier und die Wegzehrung im Tode. Alle die verschiedenen Seiten des Geldes sind verschiedene Seiten des Gottessohnes, der das Blut schwitzt, durch das für alles die Verantwortung übernommen wird.

Nur darüber ein Buch zu schreiben, erscheint vielleicht sinnlos. Das heißt nämlich: sein Angesicht den christlichen Henkern darbieten, welche die Reichen, die Jesus verabscheut und verflucht hat, selig erklären. Aber es gibt vielleicht noch lebendige Herzen in diesem riesengroßen Dunghaufen der Herzen, und für diese will ich schreiben.

Gestern brach die Sintflut über Sizilien herein; sie ist ein Vorspiel oder ein Vorläufer für viele andere, vorläufig die letzte Warnung, ehe die Drohungen von La Salette sich erfüllen. Messina soll eine stolze Stadt gewesen sein, nicht weit von der Pentapolis. Zweihunderttausend Menschen sind dort durch ein Erdbeben umgekommen. Hat jemand auch bedacht, daß höchstens hunderttausend Menschen auf der Stelle tot gewesen sind? Daraus folgt, daß hunderttausend Todeskämpfe auf fünfzehn oder zwanzig Tage verteilt waren.

Ich will als Liebhaber der Gerechtigkeit annehmen, daß die Reichen nach so viel anderen Vorrechten auch mit diesem Vorrecht gesegnet worden sind, und daß ihnen diese Gelegenheit, im Vorhof der Hölle über die Freuden und die Beständigkeit des Reichtums nachzudenken, nicht vorenthalten worden ist. Von einer Überlebenden. die unter den Trümmern eingesperrt war, wird erzählt, daß ihre Katze, die mit ihr verschüttet wurde ihre Hand aufgefressen hat. War es die «Rechte» oder die «Linke», diese Hand, die wie jede Hand zum Geben geschaffen war? Da sie vergessen hatte, die Hungrigen zu speisen, diente sie vielleicht diesem einen Tiere zur Nahrung, das ihr so die Treue hielt.

Das ist eine schreckliche, aber elementare Lektion, mag sein, aber auch sie ist umsonst. Weit schrecklichere Lektionen sind notwendig, und man ahnt, daß sie kommen werden... Das Christentum hat keinen Erfolg gehabt, das Wort Gottes hat keinen Erfolg gehabt. Also, das ist der «schwere Arm» aus der Verkündigung von La Salette, es ist der Arm, das ist nicht zu leugnen.

Ja, es ist an der Zeit! Das Recht auf Reichtum, der eine tatsächliche Verneinung des Evangeliums und eine menschenfressende Verhöhnung des Erlösers ist, wird in alle Gesetzbücher eingetragen. Es ist unmöglich, diesen Bandwurm auszureißen, ohne daß die Eingeweide mit zerrissen werden, und diese Operation ist höchst dringend. Gott wird dafür sorgen. — Du hast nicht das Recht, dich zu freuen, wenn dein Bruder leidet, brüllt die endlose Menge der Verzweifelten von Tag zu Tag lauter.
S. 307-310
Aus: Jakob Studer, Für alle Tage, Ein christliches Lesebuch, Fretz & Wasmuth Verlag AG. Zürich