Björnstjerne Björnson (1832 – 1910)

  Norwegischer Schriftsteller und Theaterleiter, der durch seine Vorträge und Reden berühmt wurde. Während er in seinen Erzählungen vor allem das norwegische Bauernleben schilderte, behandelte er in seinen Schauspielen neben Stoffen aus der norwegischen Vergangenheit auch Gegenwartsfragen. Björnson befürwortete die Freiheit aller Völker, ein von Schweden unabhängiges Norwegen und geistigen Anschluss an Deutschland. In philosophischer Hinsicht war er ein Vertreter des Darwinismus und Positivismus. 1903 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Folgende Textabschnitte sind seinem zweiteiligen Schauspiel »Über unsere Kraft« entnommen, in dem er den Zusammenhang zwischen Glaubens-Kraft und Wunder-Tun zu ergründen suchte.

Siehe auch Wikipedia und Projekt Gutenberg
 

Christentum
Elias
Was ist denn das Christentum? Ihr Glaube ist es doch wohl nicht?

Sang

Und wenn nicht. Was ist denn Schlimmes dabei? Wenn sie nach bestem Wissen handeln?

Rahel
Ist denn Christentum etwas, das von Millionen nur einer erreichen kann,
Vater?

Elias
Sollen alle die andern Pfuscher darin bleiben?

Sang

Was nennst du einen Christen?

Elias

Nur den nenne ich einen Christen, der von Jesus das Geheimnis der Vollkommenheit erlernt hat und der in allem danach strebt.

Sang
Wie schön ich die Erklärung finde! […] Aber mein Sohn, kann man denn nicht einem jeden den Versuch gestatten, ein Christ zu werden, ohne ihn deswegen einen Pfuscher zu nennen? Wie? Soll der Glaube nicht gerade hier aushelfen? Das Verdienst des einen gegen die Unzulänglichkeit von Tausenden?

Elias
Das ist es ja gerade! Wenn wir von ganzem Herzen danach streben, - dann ist es, dass der Glaube aushilft.

Sang
Nun ja –

Elias

Aber so handelt nur ein einziger Mensch. – und das bist du. Die andern, - nein, hab` keine Angst! Nicht um sie anzuklagen, sage ich es. Welches Recht hätte ich dazu? Die andern, - entweder ziehen sie sich so viel davon ab, dass sie die Sache mit Ruhe nehmen können; das passt ihnen nun; - oder sie versuchen es wirklich und – verheben sich. – Ja das ist das Wort.

Rahel

Ja, das ist das rechte Wort. Und da, lieber Vater, sagte ich zu Elias: wenn nun aber diese Ideale heute noch so wenig zu den menschlichen Verhältnissen und Fähigkeiten passen, - so können sie doch nicht gut von dem Allwissenden stammen.

Sang
Hast du das gesagt? - - -

Elias

Wir konnten Rahels Zweifel nicht wieder los werden. Und deshalb fingen wir an zu suchen. Wir verfolgten diese Ideale rückwärts in der Geschichte, - und gelangten über unsere Zeitrechnung hinaus.

Rahel
Sie sind – alle miteinander – weit älter als das Christentum, Vater.

Sang
Ich weiß es, Kind.

Elias
Sie sind schon viel früher von Schwärmern verkündet worden - -

Sang
- - von morgenländischen und griechischen Schwärmern in einer Zeit der Verzweiflung; in einer Zeit, als die Besten sich nur fortsehnten, nach dem Lande der Erneuerung – weit fort! Ich kenne das, meine Kinder.

Hier seid ihr also gestrauchelt? Du großer Gott! Als ob das Land der Erneuerung, das tausendjährige Reich nicht ebenso sehr eine Wahrheit wäre, auch wenn es ein alter, uralter morgenländischer Traum ist!

Hat es so lange auf sich warten lassen, dass schwache Seelen anfangen, es einen unmöglichen Traum zu nennen, - und die Forderungen, die dahin führen, unmögliche Ideale, - - was beweist denn das?

Nichts in Bezug auf die Lehre, vieles aber bezüglich der Verkünder. Ach ja, - vieles bezüglich der Verkünder.

Von ihnen will ich nicht weiter reden, ich will nur sagen, wie es mir selber ergangen ist. Ich sah, dass das Christentum auf dem Bauche kroch, - sogar vorsichtig um alle Hügel herum. Weshalb tut es das? fragte ich mich. Geschieht es deshalb, weil es, wenn es sich ganz aufrichtete, alle Dinge aus ihren Angeln heben würde? Ist das Christentum das unmögliche, oder sind es die Menschen, weil sie es nicht wagen?

Wenn nur einer es wagte, - würden es dann nicht gleich Tausende wagen? Und da ward es mir klar, dass ich versuchen müsste, dieser eine zu sein. Und ich meine, das sollte ein jeder versuchen. Tut er es nicht, so ist er kein Gläubiger, denn glauben, das heißt eine Überzeugung haben, dass dem Glauben nichts unmöglich ist, - und dann diesen Glauben zeigen.

Sage ich dies, um mich zu rühmen? Nein, um mich anzuklagen. Denn obwohl ich jetzt so hoch gebaut und so viel Gnade empfangen habe, so falle ich auch jetzt noch von Gott ab.

Habe ich nicht gerade jetzt wieder gedacht, es sei unmöglich, die da ganz allein zu retten? Habe ich nicht gezweifelt und auf die Hilfe anderer gewartet?

Deswegen nahm Gott die Hilfe von mir, deswegen hat er es zugegeben, dass auch ihr vor dem »Unmöglichen« zu Falle kamt und es mir erzähltet. Denn so sollte seine Stunde vorbereitet werden. Jetzt will er es uns allen zeigen, was möglich ist!

Ach, - ich sorgte mich und verstand es nicht! Jetzt verstehe ich es. Ich soll es allein vollbringen! Jetzt habe ich den Befehl erhalten; jetzt kann ich es auch.

Darum die große Gnade der Vorbereitung gerade heute. Alles trifft zusammen.

Klara hörst du`s? Ich bin`s nicht mehr, der spricht; es ist die feste Zuversicht in mir, - und du weißt es, von wem die allemal kommt!
(kniet vor ihr nieder)
Klara, mein herrlicher Freund, weshalb solltest du Gott nicht ebenso lieb sein wie jeder, der von ganzem Herzen glaubt? Als ob Gott nicht unser aller Vater wäre?

Gottes Liebe ist kein Vorrecht der Gläubigen. Das Vorrecht der Gläubigen ist, seine Liebe fühlen und sich ihrer zu freuen, - und in ihrem Namen das Unmögliche möglich zu machen. S.47-52
Aus: Björnstjerne Björnson: Über unsere Kraft. Schauspiel in zwei Teilen Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst München 1901


Wunder

Der Bischof
Je älter und erfahrener man wird, um so schwieriger ist es, sich eine Überzeugung zu bilden, - namentlich wo es sich um übernatürliche Dinge handelt. – Hier würden auch weder die Verhältnisse noch unsere Zeit eine Untersuchung zulassen. Und gesetzt, wir gelangten zu verschiedenen Meinungen? Wie würde in dieser Zeit des Zweifels ein Streit der Geistlichen über das Wunder sich ausnehmen? Ein Streit, ob es irgendwo hochoben im Nordlande ein Wunder gibt oder nicht.

Blank
Wenn ich Ew. Hochwürden recht verstanden habe, so haben wir nicht zuerst und zuvörderst zu entscheiden, ob hier ein Wunder vorliegt oder nicht. Das müssen wir Gott dem Herrn überlassen!

Der Bischof
Das müssen wir Gott überlassen! Ein wahres Wort! Hab` Dank alter Freund!

Blank
Ich meine, dass die Wunder einer ebenso großen Gesetzmäßigkeit unterliegen wie alle andern Dinge, obwohl wir das Gesetz nicht sehen. Ich bin genau derselben Ansicht wie der Professor Petersen.

Falk
In dem Buch, das er niemals herausgibt?

Blank
Das er aber in einigen Jahren herauszugeben gedenkt. Die Sache verhält sich so, - Welches Gewicht ist dem einzelnen Wunder beizumessen, - wir Kurzsichtigen mögen es nun sehen oder nicht?

Glaubt die Gemeinde, dass sie es sieht, so preisen wir Gott mit ihr.

Der Bischof

Du bist also doch der Meinung, dass wir das Wunder anerkennen sollen?

Blank

Weder anerkennen noch nicht anerkennen. Wir preisen Gott in Gemeinschaft mit der Gemeinde.

Der Bischof
Nein alter Freund, mit Lobgesängen lässt sich die Sache nicht abtun. […]

Brei
Ich sehe wirklich nicht ein, was uns hindern sollte, das Wunder sogleich anzuerkennen. Ist es denn etwas so Seltenes? Ich sehe stets Wunder. Wir sind in meiner Gemeinde so daran gewöhnt, dass das Außergewöhnliche gerade darin bestehen würde, sie nicht zu sehen.

Falk
Würde Brei wohl die Güte haben, uns ein wenig von den Wundern daheim in seiner Gemeinde zu erzählen?

Der Bischof

Nein, dann würden wir auf Abwege geraten. – Sie sind aufgestanden? Verlangen Sie das Wort?

Jensen

Ja! Im vorliegenden Fall hängt alles von dem Faktum ab, vor dem wir stehen. Ist es ein Wunder, - sind es deren vielleicht gar mehrere -, oder ist kein Wunder?

Kröjer
Gerade!

Jensen

Jedes einzelne Wunder müsste untersucht werden. Aber dann müssten wir ein technisches Gutachten haben, ein gutes medizinisches Gutachten und möglicherweise auch ein von einem fähigen Juristen aufgenommenes Zeugen-Protokoll. Erst auf dieser Grundlage können die Geistlichen mit Sicherheit ihr geistliches Urteil abgeben.

Mit »geistlich« meine ich nicht das, was wir hier von Laienpredigern und andern sogenannten Begeisterten oder Erleuchteten hören.
Ich meine hier wie überall eine einfache, kompakte, trockne Wahrheit, - um so »geistvoller«, je einfacher, kompakter, trockner sie ist.

Falk

Hört!

Jensen

Vielleicht würde es sich dann herausstellen, dass sich hier niemals ein Wunder zugetragen hat. Niemals!
Es kommt nicht von Hunderten, vielleicht Tausenden voller Erregung und Neugier erwartet und begrüßt.
Ja voller Neugier!
Nein, das Wunder kommt echt, einfach, still, trocken zu den Echten, Einfachen, Stillen Trocknen.

Falk

Das ist mir wirklich wie aus der Seele gesprochen!

Kröjer
Wenn Falk es gestattet, möchte ich hier doch eine Bemerkung einschieben. Seit ich als Geistlicher hierher kam, habe ich die Beobachtung gemacht, dass die trocknesten Menschen in der Regel dem Aberglauben am leichtesten zur Beute fallen.

Blank
Ganz meine Erfahrung! Wahrhaftig!

Kröjer
Aus Misstrauen leugnen sie oft das, was vor aller Augen offenbar ist. Aber dann überfällt sie, gleichsam von hinten, eine unerklärliche Furcht, so dass sie durch Dinge bestimmt werden, die uns andern völlig unsichtbar sind.
Ich habe es mir so gedacht: Das Übernatürliche ist in dem Grad ein ererbtes Bedürfnis in dem Menschen geworden, dass, wenn wir ihm auf die eine Weise widerstehen –

Blank

So kommt es auf eine andere! Wie ich es mir gedacht habe!

Falk
Ja, mag es nun von den Trocknen kommen oder von den Saftigen, so möchte ich doch einmal fragen, ist die Ansicht die, dass wir alles das aufgeben sollten, was wir an Klarheit und Ordnung innerhalb der Kirche gewonnen haben, oder sollen wir wieder zu schwärmen anfangen wie ordinierte Nachteulen. [...]

Das Verlangen nach Wundern ist ein ebensolcher Auswuchs am Glauben, wie das Laienpredigertum an der Verkündigung – eine Unordnung, eine Krankheit, ja, ein Atavismus, ein Auswurf.

Der Bischof
Da Wunder, das von den Geistlichen nicht anerkannt, sozusagen von der obersten Kirchenbehörde unter dem Präsidium Sr. Majestät nicht angestellt, nicht eingesetzt ist, das ist in meinen Augen ein Taugenichts, ein Landstreicher, ein Einbruchsdieb.
(Der Bischof lacht ganz leise, auch die Geistlichen lachen, die Augen auf ihn gerichtet)

Falk
Es mag sein gutes haben, naiv zu sein. Auch ich bin naiv gewesen. Aber wenn man als Geistlicher in einer großen Stadt um 1 Uhr bei einem Begräbnis mit den Traurigen trauern, - dann um 8 Uhr mit einer fröhlichen Hochzeitsgesellschaft fröhlich sein soll, - und vielleicht um 4 Uhr an ein Totenbett gerufen wird, - während man schließlich um 5 Uhr auf dem Schlosse zu Mittag speist, - da lernt man die menschliche Unzulänglichkeit kennen. Da lernt man: Verlass dich nicht auf Menschen, um so mehr aber auf die Institutionen!

Wo sich ein Wunder zeigt, geht jede Institution in dem Aufruhr der Gefühle unter!

Die katholische Kirche hat deshalb versucht, aus dem Wunder eine Institution zu machen. Dadurch aber hat sie die Achtung aller Verständigen eingebüßt, so dass ihr nur noch die Einfältigen und die Eigennützigen geblieben sind.

Ich befand mich einmal in einer Damengesellschaft, wo außer mir ungefähr zwanzig Damen zugegen waren.
(Heiterkeit)

Eine der Damen bekam Krämpfe. Sofort noch eine zweite. Und noch eine, - im ganzen sechs.
(steigende Heiterkeit)

Da nahm ich Wasser und begoss – erst diese sechs, eine nach der andern,
(ahmt es mit der Hand nach)

Dann aber noch mehrere von den andern, denn so etwas steckt an.
(Schallendes Gelächter) […]

Falk
Das glaube ich, ist gesund. Wasser drauf. S.77-85 […]

Bratt
Zum Wunder will ich! – Und da kam ich gestern, gerade als der Bergsturz stattfand. Ich stand nicht weit davon auf dem Berge und sah alles. Und ich hörte das Glockenläuten. – Und seitdem bin ich hier gewesen. – Und heute Vormittag sah ich, wie ein kranker Mann in die Kirche getragen wurde, und wie er sich während des Gesanges des Pfarrers da drinnen erhob, Gott dankte und von dannen ging. Darf ich um das Wort bitten?

Der Bischof
Natürlich.

Bratt
Denn ich bin ein Mensch in Seelennot, der zu Euch kommt, um Hilfe zu bitten.

Der Bischof
Sprich, lieber Bratt.

Bratt

Ich sage zu mir selbst: Hier stehe ich endlich vor dem Wunder. Und dann im nächsten Augenblick: Ja, ist es denn auch ein Wunder?

Denn dies ist nicht der erste Ort, den ich aufgesucht habe, um es zu sehen. Von allen großen Wunderorten Europas bin ich enttäuscht heimgekehrt. Hier, das ist wahr, ist der Glaube größer und einfältiger; dieser Mann ist groß. Das hier Gesehene hat mich mit übernatürlicher Macht gepackt. Aber im nächsten Augenblick wieder der Zweifel! Seht, das ist mein Fluch. Ich habe ihn auf mich geladen, indem ich sieben Jahre lang als Geistlicher den Gläubigen das Wunder verheißen habe. Ich habe es ihnen verheißen, weil es so geschrieben stand, - trotzdem ich selber zweifelte; denn ich hatte niemals gesehen, dass es einem Gläubigen zu teil ward. Sieben Jahre lang habe ich etwas verkündet, woran ich selber nicht glaubte.

Sieben Jahre lang habe ich deswegen auch, jedes Mal, wenn die schweren Tage kamen (und sie kamen oft, ebenso wie die schlaflosen Nächte!) in heißem Gebet gerungen: wo ist die Wundermacht, die du deinen Gläubigen verheißen hast?

Der Bischof
Du sprichst offen! Das hast du stets getan.

Bratt
In bindenden Worten, eins immer stärker als das andere, hat er uns gesagt, dass der Gläubige diese Kraft besitzt. Ja , die Kraft, noch größere Dinge zu vollbringen als des Menschen Sohn.

Wo aber ist diese Kraft geblieben?

Ist denn nach einer achtzehnhundertjährigen grenzenlosen Glaubensarbeit noch niemand in seinem Glauben so weit gediehen, dass er ein Wunder unter uns verrichten könnte? Ist denn Gottes eigene Verheißung noch immer nicht eingelöst?

Die Glaubensfähigkeit kann nicht geschwächt sein. Es kann dieser Kraft nicht umgekehrt ergangen sein, wie jeder andern durch Geschlechter hindurch vererbten Kraft, - dass sie nämlich durch beständigen Gebrauch abgeschwächt sein sollte. Nein.
Nach einer mehr als achtzehnhundertjährigen Verkündigung muss sie in vielen, vielen Geschlechtern zu einem tausendjährigen, sich steigernden, durch die Erziehung multiplizierten Erbteil geworden sein.

Und trotzdem sollte sie nicht stark genug sein, um das Wunder zu vollbringen? Die vereinte Sehnsucht aller Gläubigen könnte noch immer kein Individuum hervorbringen, das die Wunderkraft besäße, alle die, welche sehen, zu Gläubigen zu machen? Denn diese Bedingung der Bibel muss erfüllt werden! Es stehet wiederholt geschrieben: Alle, die es sahen, glaubeten! – Also ein Wunder, das alle, die es sehen, zu Gläubigen macht. Und Tausende und aber Tausende fallen ab; denn obwohl verheißen, vollzieht es sich nicht.

Ein Mann mit dem heutigen Wissen, eine aufgeklärte Frau unserer Zeit begnügt sich nicht mit dem, was ein Mann oder eine Frau ehemals ohne weiteres glaubten. Nicht weil ihre Glaubensfähigkeit geringer wäre, sondern weil sie besser begrenzt ist. Ihre Hingebung ist von einer so viel tieferen, innerlichen Art, dass es nur natürlich und gerecht ist, wenn sie schwieriger zu gewinnen ist. Wer sie gewinnt, dem wird das Beste zuteil, was die Erde zu geben hat!

Darum: Wage auch den entsprechenden Einsatz! Oder du gewinnst sie nie!
(Gedämpfte Unterhaltung der Geistlichen untereinander)

Die Religion ist nicht mehr das einzige Ideal der Menschen. Soll sie ihr höchstes sein, so zeigt es! Sie können für das, was sie lieben, - für das Vaterland, für die Familie, für eine Überzeugung – leben und sterben. Und da dies das Höchste ist, was innerhalb der natürlichen Grenzen geleistet werden kann und du ihnen aber etwas noch Höheres zeigen willst, - wohlan denn, hinaus über diese Grenzen! Zeige ihnen das Wunder!
(große Bewegung unter den Geistlichen)

Falk
(erhebt sich)
Es stehet irgendwo ein zorniges Wort geschrieben von dem Geschlecht, das nicht glauben will, es geschehen denn Zeichen und Wunder.

Bratt
Und weißt du, was das Geschlecht antwortet? »Wir bitten nur um die Zeichen, die Gott selber verheißen hat, - denen verheißen hat, die glauben! Oder habt ihr noch nicht einen einzigen Gläubigen unter euch? – Was wollt ihr denn von uns?« Ja, so antwortet das Geschlecht.
Gebt aber diesem selben Geschlecht ein Wunder, - eins, das die schärfsten Instrumente des Zweifels nicht zu zergliedern vermögen, - eins, wovon man sagen kann: »Alle, die es sahen, glaubeten«, - das werdet ihr es erleben können, dass nicht die Glaubensfähigkeit fehlt, sondern das Wunder.
(Bewegung unter den Geistlichen)

Die Verkündigung braucht keine Prämie für Leichtgläubigkeit auszusetzen. Die Keime des Glaubens sind das Stärkste, selbst in dem scharfsinnigsten Zweifler! Sollte es jemand geben, der die zivilisierten Menschen kennt und das nicht wüsste? Sollte es einen Prediger geben, der nicht die Erfahrung gemacht hätte, dass die Gefahr in der Regel gerade die entgegengesetzte ist? - - In Ermangelung des Echten verfallen in Glaubenssachen gerade auf das Unechte.

Mehrere (leise)
Das ist wahr!

Bratt

Wenn sich nun ein Wunder unter uns zeigte,-- ein so großes, dass »alle, die es sahen, glaubeten« --?

Zuerst würden Millionen herbeigestürmt kommen, - alle, die in Not und Sehnen leben, - die Enttäuschten, die Unterdrückten, die Leidenden, alle, die Gerechtigkeit fordern.

Und hörten sie dann, dass Gottes Reich in der alten Bedeutung des Wortes wieder auf die Erde herabgestiegen sei, - - - gleichviel wo, - in Tränen, in Jubel, ja, selbst wenn die meisten von ihnen wüssten, dass sie Gefahr liefen, auf dem Wege zu sterben, - sie würden lieber auf dem Wege da sterben, als auf einem andern leben! Sie kröchen herbei, jeder aus seinem Dorf, seiner Hütte, seinem Bett, die Kranken voran, hin zu der Gottesoffenbarung.

Aber sie würden nicht allein bleiben. Alle, die Wahrheit auf Erden suchen, würden ihnen folgen. Voran die, deren Wahrheitsdrang am größten ist, die tiefen, ernsten Forscher, die hohen Geister. Ihre Glut würde am schönsten, ihr Glaube am gewichtigsten sein. Nicht der Wahrheitsdrang, nicht die Glaubensfähigkeit fehlt ihnen, sondern einzig und allein das Wunder!

Alle wollen Gewissheit und Frieden in Bezug auf die größte Frage der Welt haben. Selbst die Leichtsinnigen, die dies als unnütz oder unmöglich beiseite geschoben haben! Sie sind alle ohne Ausnahme so erzogen, dass sie sich nach mehr sehnen, als dem, was sie wissen, das heißt nach dem Glauben. Gebt ihnen aber das Pfand! Das Pfand darauf, dass die Verkündigung wahr ist! Sehen sie das, da glauben sie auch, was sie nicht sehen.

So ist es von Anfang an gewesen.

Diejenigen, die sich jetzt mit Geringerem begnügen, - mit ihrer persönlichen Erfahrung, - die machen es wie die Muhamedaner, wie die Juden und Buddhisten. Auch diese berufen sich alle auf ihre persönlichen Erfahrungen!

Das Pfand aber dafür, dass diese persönliche Erfahrung eine allgemeine Wahrheit ist, das fehlt ihnen.

Und eben das suche ich! Denn es ist verheißen!
S.91-97
Aus: Björnstjerne Björnson: Über unsere Kraft. Schauspiel in zwei Teilen Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst München 1901