Jeremy Bentham (1748 – 1832)

  Englischer Philosoph und Jurist, der einer der Hauptvertreter des Utilitarismus war und Francis Hutchesons Prinzip des »größten Glücks der größten Zahl« zur Grundlage seines Systems des Utilitarismus machte. Der Utilitarismus ist die philosophische Lehre, die ausschließlich das Nützlichkeitsdenken zur Grundlage des sittlichen Verhaltens machen will. Ideale Werte weden nur respektiert, soweit sie dem einzelnen oder der Gemeinschaft nützen (Nützlichkeitsprinzip).

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Einführung in die Prinzipien der Ethik und der Gesetzgebung.
Über das Prinzip der Nützlichkeit
Antworten auf Einwürfe gegen das Prinzip der Nützlichkeit
Über Unlust und Lust
Über menschliche Anlagen im allgemeinen

Einführung in die Prinzipien der Ethik und der Gesetzgebung.

Über das Prinzip der Nützlichkeit
Aus: „Introduction to the Principles of Morals and Legislation 1789" Übersetzt von Christian Herrmann.
Die Natur hat die Menschheit dem Gesetz zweier herrschender Mächte unterstellt: der Unlust und der Lust (pain and pleasure). Ihnen allein kommt es zu, herauszuheben, was wir tun sollen, als auch zu bestimmen, was wir tun werden. Einerseits ist die gesetzmäßige Beziehung (standard) zwischen Recht und Unrecht, andererseits die Kette von Ursachen und Wirkungen an ihre Herrschaft gebunden. Sie regieren uns in allem, was wir tun, in allem, was wir denken: jede Anstrengung: die wir machen können um unser Joch abzuwerfen, wird nur dazu dienen, sie aufs neue zu beweisen und zu befestigen. Mit Worten mag jemand beabsichtigen, ihre Herrschaft abzustreiten, aber in Wirklichkeit wird er ihnen dauernd unterworfen bleiben. Das Prinzip der Nützlichkeit erkennt dieseUnterwerfung an und benutzt es zur Gründung desjenigen Systems, dessen Gegenstand (object) es ist, die Erschaffung der Glückseligkeit durch Vernunft und Gesetz zu ermöglichen (to rear). (Kap. 1, S.1)

Mit dem Prinzip der Nützlichkeit ist dasjenige Prinzip gemeint, welches sich in jedweder Handlung bewährt oder nicht bewährt, gemäß der Tendenz, welche offenbar darin besteht, das Glück der Gesellschaft, deren Interesse in Frage kommt, zu vermehren oder zu vermindern. Ich sage: in jeder Handlung überhaupt; darum nicht nur in den Handlungen eines einzelnen Individuums, sondern in jeder Maßnahme der Regierung. (Kap. 2, S.1)

Das Interesse der Gemeinschaft ist einer der allgemeinsten Ausdrücke, welcher in dem der Ethik Sprachgebrauch vorkommen kann: kein Wunder, daß seine Bedeutung oft verloren gegangen ist. Wenn er eine Bedeutung hat, so ist es diese: die Gemeinschaft ist ein fiktionaler Körper (fictitious body), der sich aus Einzelpersonen zusammensetzt, die ihn konstituieren, d. h. die seine Glieder sind. Was ist dann also das Interesse der Gemeinschaft? Die Summe der Interessen der einzelnen Glieder, welche sie ausmachen. (Kap. 4, S.2)

Es ist zwecklos, vom Interesse der Gemeinschaft zu sprechen, ohne zu wissen, was das Interesse des Individuums ist. Man sagt, ein Ding ruft das Interesse eines Individuums hervor oder ist in seinem Interesse, wenn es darauf hinzielt, die Gesamtsumme seiner Freuden (bzw. Lust) zu vermehren oder, was dasselbe ist, die Gesamtsumme seiner Schmerzen (bzw. Unlust) zu vermindern. (Kap. 5, S.2)

Man kann also sagen: eine Handlung entspricht dem Prinzip der Nützlichkeit, ....... wenn ihr Bestreben, das Glück der Gemeinschaft zu vermehren, größer ist als das, es zu vermindern. (Kap. 6, S.2)

Eine Maßregel der Regierung (welche nur eine besondere Art von Handlung ist, vollzogen von einer besonderen Person oder mehreren Personen) entspricht dem Prinzip der Nützlichkeit, wenn ihr Bestreben, das Glück der Gemeinschaft zu vermehren, größer ist als das, es zu vermindern. (Kap. 7, S.2)

Braucht dieses Prinzip (der Nützlichkeit) irgend einen Beweis? Es scheint nicht: denn das, was dazu benutzt wird, alles andere zu beweisen, kann nicht selber bewiesen werden; eine Kette von Beweisen muß irgendwo ihren Anfang haben. Solch einen Beweis zu liefern, ist ebenso unmöglich wie nutzlos. (Kap. 11, S.2)

Antworten auf Einwürfe gegen das Prinzip der Nützlichkeit
. . . Die Tugend ist als der Nützlichkeit entgegengesetzt hingestellt worden. Die Tugend, so hat man gesagt, besteht in der Aufopferung unserer Interessen unter unsere Pflichten. Um diese Begriffe genau zu erklären: es ist notwendig zu beachten, daß es Interessen von verschiedenem Grade gibt, und daß verschiedene Interessen unter gewissen Umständen unvereinbar sind.

Tugend besteht nun in der Aufopferung eines kleineren Interesses unter ein größeres
, eines augenblicklichen unter ein dauerndes, eines zweifelhaften unter ein sicheres. Jede Idee von der Tugend, welche nicht von diesem Begriff abgeleitet wird, ist in dem Maße unsicher, in dem ihr Beweggrund (motive) zweifelhaft ist.

Diejenigen, welche, indem sie um der Sache des Friedens willen Politik und Moral zu unterscheiden versuchen, Nützlichkeit als das Prinzip der ersteren, Gerechtigkeit als das der zweiten bezeichnen, stellen damit nur die Verwirrung ihrer Gedanken bloß. Der ganze Unterschied zwischen Politik und Moral ist dieser: die eine bestimmt die Unternehmungen von Regierungen, die andere bestimmt das Verhalten von Individuen. Das, was im politischen Sinne gut ist, kann im moralischen nicht schlecht sein; wenn nicht auch die Gesetze der Arithmetik, welche für große Zahlen wahr sind, mit Hinsicht auf kleine Zahlen falsch sein sollen.

Böses kann getan werden, während man das Prinzip der Nützlichkeit zu befolgen glaubt.
Ein schwacher und beschränkter Geist mag sich täuschen, indem er nur einen Teil des Guten und Bösen betrachtet. Ein Mann, der von einer Leidenschaft beeinflußt wird, mag sich täuschen, indem er einen übergroßen Wert auf einen Vorteil legt, welcher ihm die Unannehmlichkeiten, die mit ihm verbunden sind, verbirgt. Das, was einen schlechten Menschen konstituiert, ist die Neigung, Vergnügungen zu suchen, die andere verletzen, und gerade dies setzt das Fehlen mancher Arten von Vergnügungen voraus. Aber wir sollten nicht auf jenes Prinzip die Fehler häufen, welche ihm entgegengesetzt sind, und welche es allein fortschaffen kann. . …….

Es ist wahr, daß Epikur der einzige unter den Alten ist, dem das Verdienst zukommt, die wahre Wurzel der Moral erkannt zu haben; aber annehmen, daß seine Lehren zu den Konsequenzen führen, die ihnen zur Last gelegt sind, heißt annehmen, daß »das Glück selbst der Feind des Glückes sein kann«. »Sic praesentibus utaris voluptatibus ut futuris non noceas.« ..........

Aber man kann sagen, daß ein jeder sich selbst zum Richter über diese Nützlichkeit machen wird, und daß jede Verpflichtung aufhören wird, wenn er glaubt, in ihr nicht mehr sein eigenes Interesse wahrzunehmen. -

Jeder wird sich zum Richter über das für ihn Nützliche machen: dies ist so und das muß so sein, denn sonst wäre der Mensch kein vernünftiges Wesen. Derjenige, welcher nicht selbst über das ihm Angemessene richtet, ist weniger als ein Kind, als ein Tor. Die innere moralische Bindung (obligation), welche die Menschen an ihre Verpflichtungen (engagements) knüpft, ist nur das Gefühl eines höheren Interesses, welches ein niederes ausschließt. Die Menschen sind nicht immer durch den besonderen, persönlichen Nutzen einer Verpflichtung gefesselt; aber sobald für ein Glied der Gesellschaft eine Verpflichtung lästig wird, wird sie (die Gesellschaft) durch den allgemeinen Nutzen doch noch zusammengehalten .....................

Nicht die Verpflichtung ist es, welche die moralische Bindung aus sich heraus schafft, denn es gibt auch nichtige, auch unrechtmäßige Verpflichtungen. Warum? Weil sie als Verletzung angesehen werden. Es ist die Nützlichkeit eines Kontrakts (contract), welche ihm seine Kraft gibt
. (Kap. 11, S.12)

Über Unlust und Lust
Es ist gezeigt worden, daß das Glück der Individuen, aus denen eine Gemeinschaft sich zusammensetzt, d. h. ihre Freuden und ihre Sicherheit, das Ziel und zwar das einzige Ziel ist, welches der Gesetzgeber im Auge haben soll und dem sich völlig anzupassen das Individuum, soweit das von dem Gesetzgeber abhängt, veranlaßt werden soll. Aber ganz gleich, wozu jemand veranlaßt werden soll, es gibt nichts, wodurch er endgültig dazu veranlaßt werden kann, als Unlust und Lust. (Kap. 11, S.14)

Über menschliche Anlagen im allgemeinen
...... Gibt es nichts in einem Menschen, von dem man genau sagen kann, daß es gut oder schlecht ist, und wenn er doch bei dieser oder jener Gelegenheit darunter leidet, von diesem oder jenen Motiv geleitet worden ist?

Ja, gewiß: seine Disposition ................... Es ist mit dieser Disposition wie mit allen anderen Dingen auch: sie wird gut oder schlecht sein entsprechend ihren Wirkungen (effects); entsprechend ihren Wirkungen vermehrt oder vermindert sie das Glück der Gemeinschaft ...
.. (Kap. 11, S.60)
Enthalten in: Arthur Liebert, Ethik S.100ff. , 6.Band der Quellen-Handbücher der Philosophie, Pan Verlag Rolf Heise-Berlin 1925