Murad
Beg (um 1509 – um 1585)
Ungarischer Schreiber mit lateinischen Kenntnissen und
humanistischer Bildung, der aus der Gegend von Debrecen stammen dürfte, Beg geriet als 17jähriger in der Schlacht bei Moháes in türkische
Gefangenschaft und wurde als Janitscharenjüngling zum begeisterten Moslem.
Um 1550 wurde er von dem Großwesir Rustem in diplomatischer Mission nach
Siebenbürgen geschickt, wurde dort einige Jahre lang gefangen gehalten
und versuchte schon damals eifrig die Ungarn zum Islam zu bekehren. Für
diese Aktivitäten erhielt der Renegat von den Ungarn den Spitznamen »Türkenpfaffe«. Murad Beg verwendete geschickt christliche Formen und zog Vergleiche zwischen
beiden Bekenntnissen, wobei er Gemeinsamkeiten betonte, um die Bekehrung der
Oberflächlichen zu erleichtern. Bei diesen Disputen lernte er selbst die
wesentlichen Grundlagen des Christentums kennen und schrieb mehrere Erbauungsschriften.
Neben mehreren Übertragungen ins Lateinische oder Ungarische sind die zwei
Hauptwerke Murad Begs — das Buch der rechten Richtung des Gesichtes
zu Gott und der Glaubenshymnus — rein religiösen Inhalts.
Der Hymnus ist zweisprachig (türkisch und ungarisch) geschrieben und sollte
die Verbreitung des Islams im ungarischen Raum fördern. Mohammedanische
und christliche Gebetswendungen sind in dem Hymnus geschickt verwoben. Die erhoffte
Wirkung dieser Schriften trat bei den Christen der eroberten Gebiete zwar nicht
ein. Die Schriften spiegeln dennoch eine in Europa einmalige Erscheinung der
geistigen Aktivität des Islams wider.
Glaubenshymnus
1. Nennen wir zuerst den Namen Gott, stärken wir unseren Glauben mit Danksagungen,
bitten wir um den Ruhm unserer Mittler und beginnen wir danach unsere Rede.
2. Es tut not, daß der Mensch sich bedenke, das Verderben anderer begreife
und sich daran unablässig ein Beispiel nehme, vor künftigem Bösen
sich hüte.
3. Es ist geschrieben in den göttlichen Büchern, die Er in Seinen
Geboten gegeben hat, wie der Mensch in seinem Glauben handeln soll und für
seine Seele (wörtlich: in seiner Seele) das Heil findet.
4. Leser in den Schriften, sagte Er. Wählet das Bessere, gebot Er. So wie
es der Mensch in seinem Leben befolgt hat, so hat er seine Bestimmung in Gott
erfüllt.
5. Glücklich sind die, die es anhören, mir ganzem Herzen und ganzer
Seele aufnehmen, die bösen Taten lassen und sich mit gutem Tun beschäftigen.
6. Denn wahrlich, wenn die Zeit um ist und dich der Tod stark bedrängen
wird, dann nützt es nichts, daß du tausendmal bereust und um Vergebung
deiner Sünden bittest.
7. Nehmen wir ein Beispiel an den alten Geschehnissen, an den Historien über
die Propheten, wie die Heiden sie verleugnet haben, und wie Gott sie deshalb
strafte.
11. Beten wir Ihn alle an, gehorchen wir auf jede Weise Seinen Befehlen, vergleichen
wir Ihn auf keine Weise mit einem Geschöpf, das je gewesen.
16. Deshalb darf man nicht mit Menschenverstand sagen, daß Er von Zeit
umgeben sei, oder Ihn an einen Ort verlegen. Denn frei ist Er von all dem in
Seinem Reichtum.
17. Er ist nicht gebunden an Kommen und Gehen, wie wir es verstehen, weder an
Stehen noch Sitzen, noch an Schlafen, Ermüden, Niedersteigen oder Aufsteigen,
noch an Veränderung nach Ort oder Zeit.
18. Ort und Zeit haben einen Anfang. Er hat weder Anfang noch Ende, denn Er,
als der Erste, hatte nie einen Anfang. Und als der Letzte wird Er kein Ende
haben.
20. Aber nach dem Sinn hat Er nach überall hin keine andere Grenze als
die Rechte. Der Sinn der Rechten ist Seine Güte, Seine Hilfe und Sein Schutz
vor dem Bösen.
26. Alle Geschöpfe der Erde und des Himmels legen Ihm ihre Bitten vor.
Obwohl sie in verschiedenen Sprachen reden, hört Er sie alle zugleich und
antwortet allen.
28. Es ist nötig, daß alle Ihm dienen. Er liebt es, daß man
Seiner harre, denn in allen Seinen Taten ist Er vollkommen, und nur Er ist damit
geschmückt, alles zu geben.
30. Gegen den, der nicht Seinem Geheiß folgt, übereilt Er sich nicht
mit seiner Rache. Er wartet, ob jener sich vielleicht von seinen bösen
Taten abwende.
31. Aber dann, wenn jener sich doch nicht zu Ihm bekehrt, schlägt Er ihn
mir Seiner Geißel stark. Wenn jener sich aber wieder zu Ihm bekehrt, nimmt
Er ihn in Liebe auf.
32. Er sagte: Bittet, so wird euch gegeben, schellt an der Tür, so wird
euch aufgetan. Wer wäre da, der an diesen Worten zweifelte, denn Gott gibt
alles, was man von Ihm erbittet.
35. Die Hoffärtigen werden nicht teil an Ihm haben. Die demütigen
reinen Herzen nimmt Er auf und diejenigen, die an Seine Göttlichkeit glauben.
Denn Er sieht nicht auf die Person.
36. Sobald wir uns Ihm nähern, eilt Er noch viel rascher uns entgegen.
Er will Seine Gnade über uns ergießen. Wir aber sind von derlei Art:
37. Die einen von uns sind die, welche das Erbe des Himmels und die in ihm versprochene
Schönheit begehren und gewinnen seine Herrlichkeit und alle seelischen
und leiblichen Wonnen.
38. Wisse, daß Gott diesem nahe ist, ihm all seinen Willen erfüllt,
weil er Seine Gebote gehalten hat; alle Seligkeiten des Himmels hat er sich
gewonnen.
39. Die von der zweiten Art lieben diese Welt, werfen sich auf weltliche Ehren.
Gott bleibt fern von ihnen, blickt gar nicht auf sie, und sie verirren sich
auf den Weg der Hölle.
40. Dort wird sein großes Weinen und Schreien in Ewigkeit, ein Zähneknirschen
wegen der großen Qualen, aus den Augen fließen blutige Tränen.
Endlos wird sein ihre große Marter.
41. Es gibt niemand, der sich dort ihrer erbarmte, von den vielen Schreien ermattet
ihre Stimme, keine Hoffnung auf irgendwen werden sie in Ewigkeit haben; so bleiben
sie.
42. Das Fundament, das Haupt und die Quelle aller Sünden ist die Liebe
[zu] dieser Welt, die Ursache der Dunkelheit
der Hetzen; alle Schlechtigkeiten stammen von da.
44. Der von der dritten Art ist jener, der diese Welt und die andere ebenso
wenig begehrt und liebt wie er das Aas liebt, und der von diesen Seine Sache
trennt.
45. Dieser liebt nur den allerhöchsten Gott, er will immer nur in das Angesicht
des Aller-höchsten sehen. Er gab alle seine Wünsche auf und gewann
alle Arten der Glückseligkeit.
52. Nun wisset, daß das göttliche Gebot nur für zwei Dinge da
ist: daß ihr danach trachtet, Ihn mit Ehrfurcht zu verherrlichen und daß
wir unseren Nächsten wie uns selbst lieben.
53. Was dir für dich selbst mißfällt, das wolle auch nicht für
deinen Nächsten. Seid reinen Herzens und Gedankens, eure Herzen sollen
Gottes Wohnstätte sein.
54. Wenn das reine Herz sich erleuchtet, wird es zu Gottes Wohnhaus, Er wohnt
darin. Keine Bosheit kann dort eindringen. Es erfüllt sich mit Gottes Liebe.
55. Wenn du aus eigener Kraft nicht so sein kannst, so finde jemanden, der mit
Gott so ist, folge Ihm in seiner Frömmigkeit, du wirst sicher deinen Gott
finden.
56. Wer einem Frommen folgt, der wird selbst fromm, wer dem Bösen folgt,
wird selbst böse. Die menschliche Natur ist sehr biegsam, was sie erblickt,
nimmt sie gleich zum Beispiel.
57. Deshalb befahl Gott zu beichten und zu einem solchen frommen Führer
zu gehen, vor ihm sich als Sünder zu bekennen, auf das er mit seiner Verzeihung
den Sünder tröste.
61. Jede Zeit hat ihren Propheten, er ist der Verkünder des wahren göttlichen
Glaubens. Er ist, der sein Volk zu Gott weist, der Lehrer innerer und äußerer
Weisheit.
62. Um Gott zu sehen, muß man dem Propheten folgen. Um Gott zu haben,
muß man sein Gebot einhalten. Man muß glauben, daß er der
Mittler ist, das Zeugnis der Heiligen Schrift annehmen.
63. Die erste Seele ist der Vater aller Seelen, die reine Seele unseres Muhammed.
Gott machte ihn zum Spiegel eines Blickes, auf daß man in diesem Spiegel
Gott sähe.
66. Dieser letzte ist der Abgesandte Gottes. Auch unser Herr Jesus hat über
Ihn gepredigt. Das Evangelium, die Bibel, das Buch der Psalter sind Zeugen Seines
Kommens.
72. Das Wahre vom Falschen wird hier getrennt. Der Weg des äußern
und des innern Gesetzes wird anerkannt, das Verbot und die Freiheit, der Reine
und der Ekelhafte werden erkannt, und die Wissenschaft des Geistes wird hier
gelernt.
73. Alle Sünden sind von zweierlei Art, die einen, die gegen Gott begangen
werden, die andern, die gegen den Menschen getan werden. Aber beide werden gegen
Gott verstanden,
74. Denen, die gegen Gott sind, vergibt Er. Nach Beichten und Bereuen verzeiht
Er. Aber die gegen Menschen sind, überläßt Er ihnen, zu verzeihen.
89 Denn die Schrift sagt, daß wir Gott nicht erkennen können, solange
wir uns nicht selber erkennen. Wenn wir diese unsere Nichtigkeit erkennen, so
sehen wir, daß nichts ist außer Ihm.
91. Essen wir wenig und fasten wir viel, lassen wir das Trinken und Wanstfüllen,
sprechen wir nicht, schlafen wir nicht, weinen wir viel, wachen und beten wir
immer.
99. So möge Er unser Herz erleuchten, daß wir den Weg zu Ihm erkennen.
Er möge uns nicht den Irrungen überlassen und unseren Sinn nicht der
List des Teufels.
100. O höchster, allmächtiger Herr Gott, alle Macht ist in Deiner
Hand. Was Du willst, nur das geschieht sogleich, was Du nicht willst, wird niemals
sein.
105. Wenn Du eine Seele erlösest, wird große Freude sein unter den
Chorengeln und unter Deinen Dich liebenden Heiligen, aber eine große Trauer
unter den Teufeln.
110. Jene, die unsere Feinde wären, wende zum Guten und gib ihren Herzen
Weichheit. Sie sollen nicht böse zu uns sein, lasse sie auch nicht untergehen.
111. Tröste die armen Waisen, die getretenen Elenden. Errette aus ihren
Schulden die Schuld-ner und aus der Gefangenschaft die armen Gefangenen.
114. O Gott, Du weißt wohl alle unsere Notdurft; erleuchte die Mittler,
die Engel und alle Deine Heiligen. Mit diesen Worten schließen wir unser
Gebet. S.83ff.
Enthalten in: Ungarische Geisteswelt. Von der Landnahme
bis Babits. Herausgegeben von Johann Andritsch
Holle Verlag , Darmstadt