Johann Tobias Beck (1804 - 1878)
Deutscher
evangelischer Theologe, der seit 1843 als Professor in Tübingen Dogmatik lehrte und zum Hauptprediger in der
dortigen Stiftskirche berufen wurde. Beck, der
neben Johann Albrecht Bengel und Friedrich Christoph Ötinger einer der bedeutendsten Vertreter des schwäbischen Pietismus war, verstand
die Bibel als eine geistgewirkte fortschreitende Offenbarung des göttlichen
Heilsbeschlusses. »Die weltlichen Gesellschaftsformen« begreift er als »göttliche Gesetzes- und
Zuchtinstitute für dies Weltleben zur Ordnung der irdischen Entwicklung
der Menschheit mit Einschluß auch ihrer geistigen und sittlichen Interessen
und zur Sicherung wider die Sünde«. In der Geschichte wächst so nach seinem Verständnis das Reich Gottes einer sichtbaren
Vollendung entgegen. Seine Theologie beeinflusste u. a. Hermann
Cremer, Martin Kähler, Adolf
Schlatter und den jungen Karl Barth. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
Inhaltsverzeichnis
Christliche Offenbarung
Offenbarung der Organisation des gottheitlichen Geisteslebens
Göttliche Gesetzes- und Zuchtinstitute
Christliche
Offenbarung
Aus: »Einleitung in
das System der christlichen Lehre«. 1.Aufl. 1837, 2. Aufl. 1870 (zit.
nach der 2. Aufl.)
Der Begriff der christlichen Lehrwissenschaft kann bestimmt werden als die gläubig
wissenschaftliche Entwicklung des ungeteilten und in sich selbst vollendeten
christlichen Lehrsystems in seinen wesentlichen Begriffsmomenten, seiner
allgemeinen, besonderen und individuellen Glaubensbestimmtheit (S.39).
Die christliche Offenbarung
möchte kurz sich also bestimmen lassen: sie ist die schöpferische
Realisierung der ewigen und geschichtlichen Offenbarungsfülle Gottes,
welche gottmenschlich in Christo sich verpersönlichend und in den Auserwählten persönlich-(nicht
bloß eigenschaftlich)- geistig sich abgestaltend, eine Himmel und
Erde umfassende Lebensökonomie des Vaters, Sohnes
und Geistes begründet, entwickelt und vollendet (151).
Wie also die in der Schrift enthaltene Offenbarung selbst
ein gegliederter, in einheitlicher Entwicklung fortschreitender und sich vollendender
Wahrheitsorganismus ist, so bietet die Schrift selbst in ihren verschiedenen
Büchern einen ebenso gegliederten, aber in der Einheit desselben Geistes
der Wahrheit des zur vollendetsten Gestalt sich fortbildenden
Organismus der Theopneustie [Eingebung Gottes]
dar; dadurch ist sie aber in ihren einzelnen Büchern die originaltreue
Darstellung der jedesmaligen Offenbarungsstufe und Geistwirksamkeit, im ganzen
aber das in lebendiger Einheit vollendete Organ von vollkommener Wahrheit, das
Wort Gottes (246).
Offenbarung
der Organisation des gottheitlichen Geisteslebens
Aus: »Vorlesungen über
christliche Glaubenslehre«, hrsg. von J. Lindenmeyer 1886ff.
Das Christentum ist die reelle Offenbarung eines neuen, bis dahin transzendenten
Lebenssystems der Welt, genauer: es ist die Organisation
des gottheitlichen Geisteslebens, des ewigen Lebens durch Vermittlung des göttlichen Logos in menschlicher
Verpersönlichung zur Gestaltung einer neuen Welt (S.398).
Alles wahrhaft christliche Erkennen ist
wesentlich bedingt dadurch, dass es die in der heiligen
Schrift niedergelegte Lehre als die vollendete und vollendende Wahrheit zum
ausschließlichen Gegenstand hat; sie bildet das eine und ganze
religiöse Erkenntnisgebiet für die Christen und den positiven Lehrinhalt
aller christlichen Erkenntnis und Wissenschaft. Alles nicht biblisch Gegebene
hat für das christliche Erkennen auf dem religiösen Gebiet keine objektive
Wahrheitsbedeutung. Soweit es der biblischen Wahrheit widerspricht, gilt es
auf dem christlichen Erkenntnisgebiet geradezu als Irrtum. Soweit es nicht gerade
widerstreitet, aber auch nicht abzuleiten ist von der biblischen Wahrheit, mag
es subjektiven Wert haben und der subjektiven Religion dienen, aber es gebührt
ihm nicht der Wert einer objektiven und allgemein christlichen Wahrheit
(533).
Die Wissenschaft schafft nicht erst das System für die biblische Lehre,
sondern ihr Geschäft ist nur, den Realorganismus derselben als Begriffsorganismus
auszuprägen . . . Wenn das wissenschaftliche System nur das reelle Lebenssystem
der biblischen Lehre zu reproduzieren hat, so ist Auslegung der Schrift ihre
Basis (545).
— Sohn und Geist sind
Gott nur, sofern sie partizipieren
an der Gottheit des Vaters als des Einen Gottes. Eben dafür muss nun aber auch anerkannt werden, dass allerdings
eine Unterordnung oder Abstufung stattfindet innerhalb der Weise der Subsistenz.
Es ist ein Verhältnis der Origination (daher Vater)
und der Derivation (daher Sohn und Ausgehen des Geistes) (II 124).
Aber die besondere Subsistenzweise als Sohn und als ausgehender
Geist, dieser Modus des göttlichen Seins bildet sich eben erst mit
dem Übergang zur Schöpfung einer Weltökonomie (127).
Die Lebensentwicklung
Christi ist auf Grund der
Naturanlage zu denken als fortschreitende persönliche Vermittlung oder
Einigung der beiden Naturen. Zur Vollendung kommt diese erst mit dem letzten
Akt, mit der Himmelfahrt (437).
Durch die Rechtfertigung wird allerdings nicht unmittelbar ein neues subjektives Verhalten gesetzt, ein
Gott genügendes gerechtes Verhalten, sondern ein Gott genügendes gerechtes
Verhältnis des Subjektes zu Gott, aber nicht bloß ein judizielles
Verhältnis jenseits des Subjektes, sondern ein reelles Verhältnis
zu Gott im Subjekt, ein immanentes gerechtes Personverhältnis
zu Gott in Christo, als Grundlage, als Naturdisposition
für ein entsprechendes gerechtes Verhalten (603).
Göttliche
Gesetzes- und Zuchtinstitute
Aus: »Vorlesungen über
Christliche Ethik«, hrsg. von J. Lindenmeyer, 1882.
Die christliche Ethik ist die wissenschaftliche Darstellung von der Verwirklichung
der Gnade Jesu Christi, d. h. seines göttlichen Lebensinhaltes in der Form
des menschlichen Personlebens, und zwar eines solchen, das in seiner Selbstbestimmung
dem ethischen Prinzip und Normaltypus der Gnade entspricht, wie beides in Christo
gegeben ist mit sittlich vollendeter und sittlich vollendender Bildungskraft (I 84).
Wir verstehen unter der christlichen Gesellschaftsordnung
nicht die objektive Ordnung der christlichen Gesellschaft
selbst, sondern die christliche Lebensordnung für
die Subjekte innerhalb der menschlichen Gesellschaftskreise. Das Gebiet,
innerhalb dessen sich die christliche Weisheit, Rechtlichkeit und Gütigkeit
zu betätigen hat, begreift gewisse gesellschaftliche Grundverhältnisse,
welche Träger und Vermittler eines einheitlichen gegliederten Zusammenlebens
in dieser Welt sind. Die Bestimmungen, welche das Christentum hierüber
gibt, und die denselben entsprechende Lebensordnung bilden die sittliche Gesellschaftsordnung
des christlichen Lebens. Es sind hauptsächlich zwei der Welt wesentliche
Formen, das Haus und
der Staat . . .
Sie sind göttliche Naturstiftung, aber nicht
göttliche Bundesstiftung wie die kirchliche, sie sind Darstellungs- und
Entwicklungsformen des Fleisches, d. h. des sündigen, vergänglichen
Lebens dieser Welt auch mit Einschluss ihrer geistigen
Elemente ...
So sind denn die weltlichen Gesellschaftsformen,
wenn wir auf ihre Bestimmung sehen, nicht an und für sich Bildungsanstalten
für das ewige Leben, nicht göttliche Lebensinstitute, obwohl auch nicht bloße Fleisches- und Weltinstitute, sondern sind
göttliche Gesetzes- und Zuchtinstitute für dies Weltleben
zur Ordnung der irdischen Entwicklung der Menschheit mit Einschluß auch
ihrer geistigen und sittlichen Interessen und zur Sicherung wider die Sünde. Daraus ergibt sich denn auch für die Verbindung der weltlichen Gesellschaftsformen
mit dem Christentum, dass diese Verbindung keine unmittelbare sein darf,
daß Ehe, Familie und Staat an und für sich nicht als dem Christentum
wesentliche Organismen und Organe behandelt werden dürfen. —
Nur unter subjektiven Voraussetzungen und Bedingungen, unter ethischen Vermittlungen
sind diese sozialen Formen oder das ganze kosmische Leben befähigt für
die praktische Darstellung des Christlichen in ihnen. Das christliche Verhalten
in den bestehenden weltlichen Gesellschaftsformen nach dem Prinzip des Glaubens
und der Liebe stellt das Christentum auf, nicht Verfassungsformen für Familie
und Staat, nicht die göttliche Reichsverfassung mit ihrem göttlich
geistigen Familien- und Staatsleben. Dafür setzt es eine wesentlich andere,
nicht nur ethisch andere Natur und Welt voraus (159).
Enthalten in: Textbuch zur deutschen systematischen
Theologie und ihrer Geschichte vom 16. bis 20. Jahrhundert, Band I 1530 –
1934 von Richard H. Grützmacher 4.Auflage, 1955 C. Bertelsmann Verlag Gütersloh
(S.162, 164-165)