Erich Becher (1882 – 1929)
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Deutscher
Philosoph, der in Bonn u. a. Mathematik, Physik und Philosophie studiert hat. Mills ulitaristischem Empirismus
beeindruckte Becher zwar »tief«, allerdings ohne ihn »ganz
zu befriedigen«. Unter dem Einfluss der mechanistischen Richtung
in der Biologie, seines Lehrers Erdmann und seines philosophischen Lieblingsschriftstellers Fechner wurde er ȟberzeugter
Parallelist«. Seinen hohen logischen Ansprüchen, die
er sich in seinem Mathematikstudium »in bezug
auf Beweisen und Begründen von Behauptungen« erworben
hatte, »wurde Nietzsche ganz und gar nicht
gerecht«. |
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Inhaltsverzeichnis
Die Realität der Außenwelt, Das Leib-Seele-Problem, Pandynamismus und Panpsychismus
Die
Realität der Außenwelt
Die Dinge-an-sich, die Außenweltskörper,
werden von uns aus ihren Wirkungen erschlossen. Sie stellen also Wirkungsfähigkeiten,
Kräfte bzw. Kraftkomplexe dar. Damit ist eine dynamistische
Naturauffassung angebahnt (die jedoch nicht zu einer energetischen gestaltet
zu werden braucht). Die Bausteine der Materie, die Elektronen usw., sowie die
von ihnen ausgehenden Felder erscheinen so als eigentümliche Gefüge
von Kräften, die materielle Welt als ein ungeheurer,
gesetzmäßig geordneter Kräftekomplex.
Ist die Existenz und Erkennbarkeit von bewußtseinstranszendenten
Außenweltskörpern gesichert, so ist die Erkenntnis des Fremdseelischen leicht zu begründen. Hinter den Wahrnehmungen meines Leibes und des Leibes
eines Mitmenschen stehen gleichartige Außenweltskörper. Wenn nun
mit meinem Leib, seinen Organen und Funktionen ein Seelenleben verbunden ist,
so wird auf Grund der Regel- und Gesetzmäßigkeitsvoraussetzung, oder,
wie wir auch sagen können, auf Grund eines Analogieschlusses auch zum Leibe
des Mitmenschen ein zugehöriges Seelenleben anzunehmen sein. Direkt oder
indirekt werden so leibliche Organe (Sinnes-, Nervenorgane), Funktionen (Lachen,
Sprechen, Schreiben, Bauen) und Produkte solcher Funktionen (Tränen, Schriftstücke,
Bauten) zu physischen Zeichen für Fremdseelisches.
Die Benutzung dieser Zeichen, die »Methode der physischen Zeichen« ist neben der Selbstwahrnehmung die grundlegende und Hauptmethode der Geisteswissenschaften,
der Psychologie wie der Kulturwissenschaften.
Auch die Annahme von unbewußtem Seelischen stützt sich auf die Gesetzmäßigkeitsvoraussetzung und das Kausalprinzip.
Diese Annahme ergibt sich am einfachsten aus Gedächtniserscheinungen;
durch den Psychovitalismus wird sie sehr weit ausgedehnt.
Das Leib-Seele-Problem
Unsere erkenntnistheoretischen Darlegungen haben uns mehrfach an die Grenze
der Metaphysik geführt. Diese hängt in der Tat mit der Erkenntnistheorie
eng zusammen und muß sich auf sie stützen. Metaphysik ist die Wissenschaft,
die das Gesamtwirkliche sowie Wirklichkeitskomponenten als Teile des Gesamtwirklichen
erforscht. Da das Gesamtwirkliche aus Physischem und Psychischem
zusammengesetzt erscheint, dürfte das Leib-Seele-Problem
in das Zentrum der Metaphysik hineinführen.
Von den verschiedenen Leib-Seele-Hypothesen scheitern die streng materialistischen
daran, daß unmittelbar wahrnehmbaren seelischen Objekten, z. B. Gefühlen,
die wesentlichen Merkmale körperlicher Dinge und Vorgänge fehlen.
Die verschiedenen parallelistischen Hypothesen werden mehr oder weniger erschwert
durch den Umstand, daß die Struktur des uns bekannten, bewußten
Seelischen von der des Gehirns und der Gehirnvorgänge sehr verschieden
erscheint. Manche Formen der Wechselwirkungslehre
werden der innigen Verbindung des Seelischen mit dem Körperlichen nicht gerecht. An ehesten befriedigt mich eine Form der Wechselwirkungslehre,
die mit dem Parallelismus anerkennt, daß alle unsere seelischen Vorgänge mit leiblichen verbunden sind, abweichend vom Parallelismus aber annimmt, daß leibliche
Vorgänge seelische hervorrufen und beeinflussen, und daß diese seelischen
Vorgänge die körperlichen im Bahnnetz des Gehirns zweckmäßig
leiten. Diese Annahme, daß das Seelische
Hirnvorgänge führend beeinflußt, ist auch durch speziellere
Erwägungen (vgl. das oben über psychistische Gedächtnishypothesen
Gesagte) nahegelegt. Sie wird durch das komplizierte Leitungsnetz der Hirnbahnen
suggeriert, in welchem sich doch wohl nichtgeführte »blinde«
materielle Prozesse verlaufen und zerstreuen müßten.
Sie entspricht der sich schon im täglichen Leben aufdrängenden Auffassung,
daß dem Seelischen eine Führerrolle beim Tun und Lassen von Mensch
und Tier zukommt. Endlich spricht zu ihren Gunsten, daß seelische
Einwirkungen, die einen leitenden, führenden
Einfluß auf körperliche Vorgänge ausüben, mit dem
Energieerhaltungssatz durchaus vereinbar wären. Übrigens schließen auch die besten Atwaterschen Versuche
minimale Störungen des Erhaltungsprinzips in unserem Gehirn nicht aus,
und wenn dies Prinzip infolge der Wechselwirkung in unserem
Leibe seine strenge Gültigkeit verlieren sollte, so wären bei
der Lage der Dinge von vornherein nur äußerst geringe Abweichungen
zu erwarten.
Pandynamismus und Panpsychismus
Wenn wir das Psychische nicht von der Seite der inneren
Wahrnehmung, sondern als im Gehirn wirksamen Faktor betrachten, so erscheint es als Kraft oder Kräftekomplex,
der die Hirnvorgänge führend beeinflußt. Sehen wir aber auch
in den psychischen Realitäten Wirkungsfähigkeiten
oder Kräfte, so erweitert sich die oben angedeutete
dynamistische Auffassung der materiellen Welt zu
einer solchen der Gesamtwirklichkeit. Dieser Pandynamismus
besagt freilich zunächst nur, daß seelische
wie körperliche Weltbausteine Wirkungsfähigkeiten repräsentieren.
Wenn nun diejenigen Weltbausteine oder Kräfte, die
unserer inneren Wahrnehmung zugänglich sind, sich als psychische Realitäten
offenbaren, dann wird dadurch der Gedanke nahe gelegt, daß alle Weltbausteine
oder Kräfte, auch die unserer inneren Wahrnehmung nicht zugänglichen,
welche die Körperwelt bilden, ihrem An-sich-Sein oder »innere« Wesen nach von seelischer oder dem Seelischen verwandter Natur sind.
Wir kämen so zu einer Art Panpsychismus:
Alles Wirkliche ist seinem inneren Wesen nach seelisch
oder doch dem Seelischen verwandt; und ferner ergäbe sich, daß das
seinem inneren Wesen nach Seelische oder dem Seelischen Ähnliche überall
als Kraft sich darstellt, wenn wir es »von außen«, von seiner
Wirkung her, erfassen. Diese Formulierung erinnert stark an den psychomonistischen
Parallelismus, nach welchem alles Wirkliche seinem
inneren Wesen nach seelisch ist, von außen
betrachtet aber als körperlich erscheint.
Doch dürfen uns die pandynamistische Betrachtungsweise
und die sehr hypothetische panpsychistische Ausdeutung nicht darüber hinwegtäuschen, daß ein Dualismus in unserer Metaphysik
bestehen bleibt. Es bleibt der Unterschied der »niederen«
Kräfte, die der körperlichen Außenwelt zugrunde liegen,
und der »höheren«, körperliche Vorgänge
im Gehirn führenden Kräfte, die sich, soweit sie der Selbstwahrnehmung
zugänglich sind, als seelische Realitäten
offenbaren.
Nahe liegt nun die Frage, warum diese höheren, führenden Kräfte
oder Kraftkomplexe sich uns nicht als Körper oder Komponenten von Körpern
darbieten. Darauf wird zunächst zu antworten sein, daß Kraftsysteme nur dann Körper darstellen, wenn die
Kräfte in geeigneter Weise räumlich zusammengefügt sind. Aus anziehenden und abstoßenden Zentralkräften kann man sich Körper
gebildet denken, nicht aber etwa aus gleichgerichteten, überall in der
Kraftrichtung gleich starken Kräften. Damit ist unsere Frage freilich nicht
abschließend beantwortet; sie hängt eng mit der Frage zusammen, was
den Raumbeziehungen in der Außenwelt zugrunde
liegt. Dies Problem bietet vielleicht einmal Anlaß zu weiteren metaphysischen
Untersuchungen.
Sehr bemerkenswert erscheint im Zusammenhang mit den skizzierten Gedankengängen
die psychovitalistische Hypothese, welche in seelischen
Realitäten, die im Organismus mit den physikalischen und chemischen Faktoren
zusammenwirken, die eigentlichen Lebensprinzipien erblickt. Der Unterschied des Lebendigen vom Toten beruht nach dem Psychovitalismus darauf,
daß in jenem Seelisches weilt und wirkt; wo Leben ist, da ist auch Beseelung. Für die Annahme, daß alle lebende Substanz, etwa alle Zellen
und Organe, beseelt seien, lassen sich mancherlei Analogie-, Kontinuitäts-
und Entwicklungsbetrachtungen geltend machen. S.36ff.
Aus: Die deutsche Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Mit einer
Einführung herausgegeben von Dr. Raymund Schmidt
Erster Band: Paul Barth / Erich Becher / Hans Driesch / Karl Joel / A. Meinong
/ Paul Natorp / Johannes Rehmke / Johannes Volkelt. Leipzig / Verlag von Felix
Meiner / 1921