Bâyazîd (Abu Yazid) Bestâmi [auch als al-Bistâmi bekannt] (9. Jahrhundert)

Nordpersischer Mystiker und Sufi-Meister, der auch Meister von Bistâm genannt wurde und das Wesen des Göttlichen in Form der Negation zu umschreiben suchte. Bâyazîd soll der Enkel eines zum Islam übergetretenen Zoroastriers sein und vor seiner Sufi-Zeit hanafitisches Recht studiert haben . Seine Anhänger, die Taifûri, bildeten etwa ein Jahrhundert später eine Schule. Abu Jasîd (Bâjazîd) Taifûr ibn Îsâ ibn Surûschân Al--Bistâmî , wie er mit vollem Namen eigentlich heißt, hat selbst kein geschriebenes Werk hinterlassen, es sind lediglich Fragmente seiner ekstatischen Äußerungen (Schatahât) überliefert.

Siehe auch Wikipedia

Inhaltsverzeichnis
Gottsuche
Wer in das wahre Wesen kommt, ist Gott
Hingabe an Allah

Gottsuche
Man erzählt, daß Bâjezid sprach: »Zwölf Jahre hintereinander war ich der Schmied meines Wesens. Ich legte es auf den Herd der Askese, ließ es aufglühen im Feuer der Prüfung, setzte es auf den Amboß der Furcht und schlug es mit dem Hammer der Ermahnung. Ich machte so aus ihm einen Spiegel, der mir dazu diente, mich selbst fünf Jahre lang zu betrachten, indem ich nicht aufhörte, mit Taten der Frömmigkeit und der Andacht den Rost von diesem Spiegel zu lösen«.

Er sprach ferner: »Dreißig Jahre lang ging ich auf der Suche nach Gott, und als ich am Ende dieser Zeit die Augen geöffnet hatte, entdeckte ich, daß er es war, der mich suchte«.

Yahya, der Bâjezid zu sehen begehrte, machte sich auf den Weg zu ihm, aber er fand ihn nicht zu Hause, weil er damals inmitten der Gräber war, mit Taten der Andacht beschäftigt. Es war die Stunde des Abendgebets. Yahya ging Bâjezid zu suchen und fand ihn alsbald. Er sprach zu sich: »Jetzt ist es Nacht, aber morgen in der Frühe werde ich ihn begrüßen«. Bis zu den ersten Strahlen der Morgenröte sah er Bâjezid aufrecht auf den Füßen, Worte murmelnd, und er war von Staunen darüber betroffen. Als die Sonne aufgegangen war, ging Yahya, Bâjezid zu begrüßen. »Was machtest du in dieser Nacht«, fragte er. »In dieser Nacht«, antwortete Bâjezid, »hat man mir zwanzig Grade gezeigt, die ich nicht angenommen habe, weil sie alle wie Vorhänge waren, die mich hinderten, vorwärts zu gehen«. Da sagte Yahya: »O Bâjezid! Gib mir einen Rat«. »Wohl«, sprach Bâjezid, »wenn man dir auch den Grad anbieten sollte, den alle Propheten erreicht haben, willige nicht ein, ihn anzunehmen. Verlange noch weiter zu gehen, steigere deine Ansprüche; denn wenn du einen Grad annimmst, wird er für dich ein Vorhang werden, der deinen Gang hemmen wird«.

Bâjezid sprach zu Ahmed Khizreviyeh: »Wie lange noch wirst du die Welt nach allen Richtungen durchschreiten?« »Wenn ein Wasser irgendwo stockend wird«, antwortete Ahmed, »verdirbt es«. »So sei wie das Meer«, sprach Bâjezid, »und du wirst nicht verderben«.

Bâjezid sprach: »Als ich auf der Stufe der Nähe angelangt war, hörte ich mich anrufen: >O Bâjezid! Verlange alles, was du zu verlangen hast<. >Mein Gott<, antwortete ich, >du bist es, den ich verlange<. Es sprach: >O Bâjezid! Solange in dir ein Stäubchen weltlicher Begier bleibt und du nicht auf der Stufe des Entwerdens zu nichts geworden bist, wirst du nicht fähig sein, uns zu finden<. >Mein Gott<, sagte ich, >ich werde von deinem Hofe nicht mit leeren Händen zurückkehren, ich will etwas von dir verlangen<. — >Wohl, so verlange es<. — >Gewähre mir die Gnade für alle Menschen und erbarme dich ihrer<. Eine Stimme erscholl: >O Bâjezid! Erhebe deine Augen<. Ich erhob die Augen und sah, daß der erhabene Herr noch mehr als ich selbst zur Nachsicht gegen seine Diener bewegt war. >Mein Gott<, rief ich da, >schenke deine Gnade dem Satan!< >O Bâjezid!< antwortete mir die Stimme, >der Satan ist aus Feuer, und das Feuer bedarf des Feuers<«.

Als man ihn über sein Alter fragte, antwortete er, er sei vier Jahre alt. — »Wie das, o Scheich?« — »Siebzig Jahre war ich in die Schleier der niederen Welt gehüllt, und seit vier Jahren bin ich ihrer entledigt und schaue Gott«.

In einer Nacht sah ich den Herrn im Traume, der zu mir ich: »Was begehrst du, Bâjezid?« — »Was du selbst begehrst, mein Gott!« — »O Bâjezid, du bist es, den ich begehre, wie du mich begehrst«. — »Aber welches ist der Weg, der zu dir führt?« — »O Bâjezid, wer sich selbst entsagt, kommt zu mir«.

Wer in das wahre Wesen kommt, ist Gott
Bâjezid sprach: »Ich bin wie ein Meer ohne Anfang, ohne Ende, ohne Grund«.

Man fragte Bâjezid, was der neunte Himmel sei. »Ich bin’s«, antwortete er. — »Und der Thron, der darauf ruht?« — »Auch dies bin ich«. Als man ihn weiter fragte, sprach er: »Ich bin die Tafel, ich bin der Griffel. Ich bin Abraham, Moses, Jesus. Ich bin Gabriel, Michael, Israfil. Wer in das wahre Wesen kommt, geht in Gott auf, ist Gott«.

Bâjezid sprach: »Als der erhabene Herr mich in seiner großmütigen Gnade zu den oberen Stufen erhoben hatte, erleuchtete er mit seinen Strahlen mein ganzes äußeres und inneres We-sen, entschleierte mir alle seine Geheimnisse und offenbarte in mir seine ganze Größe...

Als der erhabene Herr mein vergängliches Wesen vernichtend mich an seiner unvergänglichen Dauer teilnehmen ließ, ward die Klarheit meines Auges ins Unbeirrbare gesteigert. Gott mit Gottes Auge betrachtend, sah ich Gott durch Gott; und mich in der Wahrheit verschanzend, blieb ich ruhig und friedsam. Ich schloß die Öffnung meines Ohres, ich zog meine Zunge in meinen ohnmächtigen Mund zurück, und ich warf das geliehene Wissen hin, das ich von den Kreaturen gelernt hatte.

Dank dem Beistand des erhabenen Herrn entfernte ich von mir mein sinnliches Wesen, und in erneuter Huld gab mir der Herr das anfanglose Wissen. Durch seine Großmut hat er in meinen Mund eine Zunge gesetzt, die zu reden vermag, und hat mir ein Auge gegeben, das aus seinem Lichte stammt«.


Bâjezid sprach: »Wie lange noch wird es zwischen mir und dir das Ich und das Du geben? Hebe zwischen uns mein Ich auf, mache, daß ich ganz in dich eingehe, daß ich nichts werde. Mein Gott«, fügte er hinzu, »wenn ich bei dir bin, tauge ich mehr als alle, und wenn ich bei mir selbst bin, tauge ich weniger als alle. Mein Gott, die Übung der heiligen Armut und der unablässigen Strenge hat mich bis zu dir kommen lassen. In deiner Großmut hast du nicht gewollt, daß meine Mühen verloren seien. Mein Gott, nicht die Askese ist es, deren ich bedarf, nicht das Auswendigkönnen des Koran, und nicht die Wissenschaft; aber gib mir ein Teil in deinen Geheimnissen. Mein Gott, ich suche meine Zuflucht in dir, und du bist es, durch den ich zu dir komme. Mein Gott, daß ich dich liebe, ist nicht erstaunlich, denn ich bin dein Diener, schwach, ohnmächtig, bedürftig; aber seltsam ist, daß du mich liebst, du, der König der Könige! Mein Gott, jetzt fürchte ich dich, und doch liebe ich dich in so großer Inbrunst! Wie erst werde ich dich lieben, wenn ich mein Teil deiner Gnade empfangen habe und mein Herz von aller Furcht frei sein wird«. S.79ff.
Aus: Sloterdijk (Hrsg.): Mystische Zeugnisse aller Zeiten und Völker gesammelt von Martin Buber, Diederichs DG 100

Hingabe an Allah
Ich habe Allah geliebt, bis ich die Welt haßte, und die Welt gehaßt, bis ich den Gehorsam Allahs liebte.

Laß dein Selbst und komm her! — Du warst mir ein Spiegel, dann bin ich der Spiegel geworden. — Ich suchte eines Nachts mein Herz und fand es nicht. Und als es Morgen wurde, hörte ich jemand sagen: Bajazid, du suchst also etwas anderes als uns?

Wer Allah kennt, ist eine Belohnung für das Paradies, und das Paradies ist für ihn eine Plage. Das Paradies ist der größte Schleier, denn die Leute des Paradieses erhalten das Paradies zur Wohnung, und jeder, der das Paradies zur Wohnung erhält, erhält etwas anderes als Allah zur Wohnung, so daß er (vor ihm) verborgen ist.

Adam hat die Gegenwart seines Herrn für einen Mundvoll verkauft . . . Wenn Allah mich für die Menschen fürsprechen ließe, wäre das in meinen Augen nicht viel. Es liefe darauf hinaus, daß er mich für einen Mundvoll Lehm fürsprechen ließe.

Allah entrückte mich einmal, stellte mich vor sich und sagte zu mir: Bajazid, meine Geschöpfe begehren dich zu sehen! —

Da sagte ich: Schmücke mich mit deiner Einzigkeit, bekleide mich mit deiner Eigenheit und erhebe mich zu deiner Einheit, so daß deine Geschöpfe, wenn sie mich sehen, sagen: Wir haben dich gesehen — und daß du das seist und ich dort nicht (mehr) sei!

Einmal erschaute ich das Feld des Nichtseins und flog auf ihm unaufhörlich zehn Jahre, bis ich aus dem Nichts in das Nichts gelangte durch das Nichts.

Dann erschaute ich das Verlieren, das Feld des (wahren) Bekenntnisses der Einheit, und flog unaufhörlich durch das Nichts in das Verlieren, bis ich in dem Verlorengehen gänzlich verloren ging, verloren ging und (selbst) aus dem Verlieren durch das Nichts im Nichts im Verlorengehen des Verlierens verloren ging.
Dann erschaute ich das Bekenntnis der Einheit in dem Dahinschwinden der Schöpfung von dem Wissenden und dem Dahinschwinden des Wissenden von der Schöpfung.

Sobald ich zu seiner Einzigkeit gelangte, wurde ich ein Vogel, dessen Körper aus der Einheit und dessen Flügel aus der Dauer stammen, und floh unaufhörlich zehn Jahre in der Luft der Gleichheit, bis ich hundert Millionen Mal zu derselben Luft gelangte.

So flog ich unaufhörlich, bis ich zum Felde der Anfangslosigkeit gelangte; da sah ich auf ihm den Baum der Einheit. —

Dann beschrieb Bajazid seine Erde, seinen Stamm, seine Äste, seine Zweige und seine Früchte; dann sagte er: Da blickte ich hin und erkannte, daß dies alles Trug ist.
S.105f.
Enthalten in: Islamische Geisteswelt, Von Mohammed bis zur Gegenwart Herausgegeben von Rudolf Jockel . Holle Verlag , Darmstadt