Charles Baudelaire (1821 – 1867)

>>>Gott

Die Verleugnung des heiligen Petrus

Was fängt denn Gott nur an mit dieser Flut von Flüchen,
Die täglich sich zu seinen Seraphim aufschwingen?
So satt wie ein Tyrann von Fleisch und Weingerüchen
Entschlummert er, sobald die Schmähungen erklingen.

Die Seufzer, welche man Gefolterten erpreßt,
Berauschen ihn gewiß wie eine Symphonie,
Denn trotz des Bluts, das er die Lust sich kosten läßt —
Überdrüssig wird der Himmel ihrer nie!

— Ach! Jesus, denkst du noch an jenen Ölberghain!
Wo du in Einfalt auf den Knien vor ihm gelegen,
Der, als sie Nägel trieben dir ins Fleisch hinein,
In seinem Himmel lachte bei den Hammerschlägen;

Und als mit seinem Speichel deine Gottheit netzte
Der Pöbel von der Wache mit dem ganzen Troß,
Und als die Dornenkrone deine Stirn verletzte,
Die diese ungeheure Menschheit ganz umschloß,

Als des zerschlagenen Leibes grauenhafte Last
An deinen ausgespannten Armen zerrte, Schweiß
Und Blut herabrann von der Stirne, die erblaßt,
Und du zum Ziel geworden für den ganzen Kreis,

Hast du da nicht geträumt von jenen schönen Tagen,
Wo du als der Messias der Verheißung kamst,
Wo du, von einer sanften Eselin getragen,
Den Weg, bestreut mir Blumen und Palmenzweigen, nahmst,

Wo du, geschwellt von Hoffnung und von Tapferkeit,
Die Peitsche über diesem Händlerpack geschwungen
Und endlich Meister warst? Ist da nicht Reue weit
Tiefer noch als die Lanze dir ins Herz gedrungen?

— Gewiß, ich meinesteils verließe unbeschwert
Die Welt, wo Traum und Tat sich nicht als Schwestern sehn;
Könnt ich das Schwert gebrauchen, umkommen durch das Schwert!
Petrus verleugnete den Herrn ... und das ist recht geschehn
! S.127f.
Aus: Charles Baudelaire: Die Blumen des Bösen. Übersetzung von Monika Fahrenbach-Wachendorff, Nachwort von Hartmut Köhler
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