Clemens Baeumker (1853 – 1924)

  Deutscher katholischer Philosoph, der in Paderborn und Münster Philosophie, Theologie und Philologie studierte und in Breslau, Bonn, Straßburg (Nachfolger von Windelband) und München.lehrte. Baeumker hat sich um die literarhistorische und ideengeschichtliche Erforschung der mittelalterlichen Philosophie verdient gemacht. Philosophisch-theologisch bekannte er sich zu einem auf Gott gegründeten »metaphysisch-ethischen Idealismus, welcher durch den theistisch-teleologischen Grundgedanken seine besondere Färbung erhält«. Die sittlichen Werte müssen nach seiner Ansicht »hervorquellen aus dem wirklichen Leben eines höchsten Ideals, und zwar, da es sich ja zu höchst um geistige Personenwerte handelt, aus einer unendlichen geistigen Persönlichkeit, mit einem Worte: aus Gott.«

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Auf Gott gegründeter metaphysisch-ethischer Idealismus

Die metaphysische Welt- und Lebensanschauung selbst aber, welche ich vertrete, kann ich ihrem Inhalte nach hier nicht näher entwickeln und begründen, sondern nur charakterisieren. Es ist die des metaphysisch-ethischen Idealismus (der mit einem erkenntnistheoretischen Realismus sehr wohl vereinbar ist), welcher durch den theistisch-teleologischen Grundgedanken seine besondere Färbung erhält und als solcher in dieser Skizze bereits mehrfach hervorgetreten ist. Auch Gott fällt dieser Anschauung nicht aus der Sphäre der Wissenschaft heraus, so dass er nur Gegenstand der Religion und des religiösen Glaubens wäre.

So bedeutsam ihr das individuelle und gemeinsame religiöse Erleben als unmittelbare Quelle eines Gottesbewusstseins auch ist, so hält sie doch fest auch an der rationalen Begründung des Gottesgedankens. Wie sie zur letzten Begründung des veränderlichen, nichtnotwendigen Seins, das die Erfahrungswelt uns zeigt, die Voraussetzung eines an sich notwendigen, wesenhaften Seins als unentbehrlich ansieht das allein der Kausalreihe einen außer ihren Bedingungen rückschreitender und gegenseitiger Abhängigkeitsverhältnisse stehenden absoluten ersten Anfang, der Gesamtheit des Nichtnotwendigen einen letzten hinreichenden Grund geben kann, so findet sie nur unter der Voraussetzung des unendlichen Geistes als des letzten Grundes des Seins und der Erkenntnis die Zusammenstimmung von Denken und Sein und die Möglichkeit unbedingt geltender Wahrheiten erklärlich, sowie die letzte Möglichkeit objektiv geltender Werte, die nicht bloß aus dem subjektiven Fühlen oder Begehren hervorgehen, verständlich.


Aus Gott abgeleitete sittliche Werte
Wie die Metaphysik des Seins, so fügt auch die Theorie der sittlichen Werte und damit die Ethik sich ihrer Einstellung nach in die objektivistische Erkenntnislehre ein. Die letzten Wertmaßstäbe des Sittlichen sind so wenig, wie das theoretisch Gültige, der jedesmalige Niederschlag gewissermaßen der jedesmalige Gerinnungszustand des über jeden dieser Zustände hinaus stets weiter sich entwickelnden durch den Kampf um das Dasein vorangedrängten, in Lust und Unlust seiner bewussten Lebens.

Der biologische Evolutionismus erklärt wohl in manchem die tatsächlichen Verhaltungsweisen, Einrichtungen und Urteile auch auf sittlich relevanten Gebieten, aber er gibt keine letzten Wertmaßstäbe. Ebensowenig tut dies der nur an den Folgen sich orientierende und diese nur nach ihrem individuellen oder universellen Lustwert bemessende Utilitarismus. Womit sich sehr wohl verträgt - einseitiger Rigorismus übersieht dies -, dass an sich auch die Lust, falls sie aus dem richtigen Verhalten hervorgeht und auf einen wertvollen Inhalt geht, nichts Unsittliches ist, vielmehr stets eine wirksame, relativ wertvolle Triebfeder bleiben und einen ergänzenden Bestandteil der glückselig zu preisenden Beschaffenheit ausmachen wird.

Aber die letzten Wertmaßstäbe müssen vielmehr etwas Objektives sein, das nicht erst dadurch seinen Wertcharakter erhält, daß es Lust hervorruft, sondern (denn eine Beziehung schließt der Wert ein) dadurch, dass es vervollkommnet. So setzt die sittliche Bewertung menschlichen Tuns, menschlicher Gesinnung und Zuständlichkeit ein Ideal der freivernünftigen menschlichen Persönlichkeit und der in Gerechtigkeit und Liebe durch freivernünftige Betätigung verbundenen menschlichen Persönlichkeitsgemeinschaft voraus, aus dem über den bloßen Formalismus der Kantschen Theorie hinaus die Ethik erst Inhalt erhält. Dieses Ideal ist in seiner Reinheit nicht in empirischer Wahrnehmung gegeben, ist aber auch nicht irgendwo neben oder über dem realen Menschen erfaßbar. Es kommt vielmehr dadurch zustande, dass vom geistigen Bewu
sstsein durch ein ursprüngliches Vorziehen in dem wirklichen menschlichen Leben diejenigen Elemente erfasst werden, die seine Vollkommenheit ausmachen und die in dem geistigen Kosmos der sittlichen Werte ihre Objektivität haben.

Wie dieses - sowohl intellektuelle wie gefühlshafte - ursprüngliche Vorziehen zustande kommt, ist eine Frage für sich; die hier nicht, weiter verfolgt wird. Nicht im einzelnen verfolgt werden soll hier auch die Frage, worin denn ein solcher Kosmos der Werte, der zunächst als Vorausgesetztes vor uns steht, seinen Bestand haben könne. Sie ist wieder eine metaphysische. Sollen jene Werte mehr sein als nicht weiter zu rechtfertigende, wie in das Leere hinausprojiziert erscheinende Voraussetzungen, so müssen sie hervorquellen aus dem wirklichen Leben eines höchsten Ideals, und zwar, da es sich ja zu höchst um geistige Personenwerte handelt, aus einer unendlichen geistigen Persönlichkeit, mit einem Worte: aus Gott. Nicht - soweit nicht die Pflicht der Gottesverehrung selbst in Betracht kommt - so, als ob nun aus dem Begriffe Gottes als Erkenntnisgrund die ethischen Vorschriften deduziert werden könnten; aber als aus der letzten ratio essendi
[Seinsgrund] jener Werte.

Durch diesen metaphysischen Zusammenhang erhält zugleich nach mehreren bedeutsamen außermetaphysischen Vorstufen, die hier beiseite bleiben - die auf den Wert gehende ethische Pflicht ihre letzte, metaphysische Begründung, das ethische Sollen, das mit dem ethischen Wert nicht von selbst gegeben ist; denn dieser könnte ja an sich mit einem bloßen Wünschen seinen Abschluß finden, das dann den wirklichen Verlauf resigniert dem Lust- und Unlustmechanismus eines rein kausal bedingten Geschehens überließe.

Das Pflichtbewusstsein zwar kann mannigfach entstehen, insbesondere durch von außen oder von innen erwachsene Gewohnheit; die Pflichtgeltung aber zuletzt nur durch einen berechtigten vernünftigen Willen. Nur darf dabei das auf den spätmittelalterlichen Nominalismus zurückgehende und auch von Kant bei seiner Polemik gegen die Heteronomie der Moral vorausgesetzte Missverständnis nicht begangen werden, als solle erst ein solches Willensdekret willkürlich und despotisch den Unterschied von Gut und Böse aufstellen und äußerlich durch den Zwang von Lohnverheißung und Strafandrohung befestigen; während es sich doch nur um die Willenssanktion desjenigen handelt, was als Wert in der subsistierenden Güte und Heiligkeit selbst wesenhaft begründet ist
. S.26-28
Aus: Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Herausgegeben von Dr. Raymund Schmidt.
Zweiter Band: Erich Adickes / Clemens Baeumker / Jonas Cohn / Hans Cornelius / Karl Groos / Alois Höfler / Ernst Troeltsch / Hans Vaihinger . Leipzig / Verlag von Felix Meiner / 1921