Clemens Baeumker (1853 – 1924)
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Deutscher
katholischer Philosoph, der in Paderborn und Münster Philosophie,
Theologie und Philologie studierte und in Breslau, Bonn, Straßburg (Nachfolger von Windelband) und München.lehrte. Baeumker hat sich um die
literarhistorische und ideengeschichtliche Erforschung der mittelalterlichen
Philosophie verdient gemacht. Philosophisch-theologisch bekannte er sich
zu einem auf Gott gegründeten »metaphysisch-ethischen
Idealismus, welcher durch den theistisch-teleologischen Grundgedanken seine
besondere Färbung erhält«. Die sittlichen
Werte müssen nach seiner Ansicht »hervorquellen
aus dem wirklichen Leben eines höchsten Ideals, und zwar, da es sich
ja zu höchst um geistige Personenwerte handelt, aus einer unendlichen
geistigen Persönlichkeit, mit einem Worte: aus Gott.« Siehe auch Wikipedia |
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Auf Gott gegründeter metaphysisch-ethischer Idealismus
Die metaphysische Welt- und Lebensanschauung selbst aber, welche ich vertrete, kann ich ihrem Inhalte nach hier nicht näher entwickeln und begründen, sondern nur charakterisieren. Es ist die des metaphysisch-ethischen Idealismus (der mit einem erkenntnistheoretischen Realismus sehr wohl vereinbar ist), welcher durch den theistisch-teleologischen Grundgedanken seine besondere Färbung erhält und als solcher in dieser Skizze bereits mehrfach hervorgetreten ist. Auch Gott fällt dieser Anschauung nicht aus der Sphäre der Wissenschaft heraus, so dass er nur Gegenstand der Religion und des religiösen Glaubens wäre.
So bedeutsam ihr das individuelle und gemeinsame religiöse Erleben als unmittelbare Quelle eines Gottesbewusstseins auch ist, so hält sie doch fest auch an der rationalen Begründung des Gottesgedankens. Wie sie zur letzten Begründung des veränderlichen, nichtnotwendigen Seins, das die Erfahrungswelt uns zeigt, die Voraussetzung eines an sich notwendigen, wesenhaften Seins als unentbehrlich ansieht das allein der Kausalreihe einen außer ihren Bedingungen rückschreitender und gegenseitiger Abhängigkeitsverhältnisse stehenden absoluten ersten Anfang, der Gesamtheit des Nichtnotwendigen einen letzten hinreichenden Grund geben kann, so findet sie nur unter der Voraussetzung des unendlichen Geistes als des letzten Grundes des Seins und der Erkenntnis die Zusammenstimmung von Denken und Sein und die Möglichkeit unbedingt geltender Wahrheiten erklärlich, sowie die letzte Möglichkeit objektiv geltender Werte, die nicht bloß aus dem subjektiven Fühlen oder Begehren hervorgehen, verständlich.
Aus Gott abgeleitete sittliche
Werte
Wie die Metaphysik des Seins, so fügt auch die Theorie der sittlichen Werte
und damit die Ethik sich ihrer Einstellung nach in die objektivistische Erkenntnislehre
ein. Die letzten Wertmaßstäbe des Sittlichen sind so wenig, wie das theoretisch Gültige, der jedesmalige Niederschlag
gewissermaßen der jedesmalige Gerinnungszustand des über jeden dieser
Zustände hinaus stets weiter sich entwickelnden durch den Kampf um das
Dasein vorangedrängten, in Lust und Unlust seiner bewussten Lebens.
Der biologische Evolutionismus erklärt wohl in manchem die tatsächlichen
Verhaltungsweisen, Einrichtungen und Urteile auch auf sittlich relevanten Gebieten,
aber er gibt keine letzten Wertmaßstäbe. Ebensowenig tut dies der nur an den Folgen sich orientierende und diese nur
nach ihrem individuellen oder universellen Lustwert bemessende Utilitarismus.
Womit sich sehr wohl verträgt - einseitiger Rigorismus übersieht dies
-, dass an sich auch die Lust, falls sie aus dem richtigen Verhalten hervorgeht
und auf einen wertvollen Inhalt geht, nichts Unsittliches ist, vielmehr stets
eine wirksame, relativ wertvolle Triebfeder bleiben
und einen ergänzenden Bestandteil der glückselig zu preisenden Beschaffenheit
ausmachen wird.
Aber die letzten Wertmaßstäbe müssen
vielmehr etwas Objektives sein, das nicht erst
dadurch seinen Wertcharakter erhält, daß es Lust hervorruft, sondern (denn eine Beziehung schließt der Wert ein) dadurch, dass es vervollkommnet. So setzt die sittliche
Bewertung menschlichen Tuns, menschlicher Gesinnung und Zuständlichkeit
ein Ideal der freivernünftigen menschlichen Persönlichkeit und der in Gerechtigkeit und Liebe durch freivernünftige Betätigung
verbundenen menschlichen Persönlichkeitsgemeinschaft voraus, aus dem über
den bloßen Formalismus der Kantschen Theorie hinaus
die Ethik erst Inhalt erhält. Dieses Ideal ist in seiner Reinheit
nicht in empirischer Wahrnehmung gegeben, ist aber auch nicht irgendwo neben
oder über dem realen Menschen erfaßbar. Es kommt vielmehr dadurch
zustande, dass vom geistigen Bewusstsein durch
ein ursprüngliches Vorziehen in dem wirklichen menschlichen Leben diejenigen
Elemente erfasst werden, die seine Vollkommenheit ausmachen und
die in dem geistigen Kosmos der sittlichen Werte ihre
Objektivität haben.
Wie dieses - sowohl intellektuelle wie gefühlshafte - ursprüngliche
Vorziehen zustande kommt, ist eine Frage für sich; die hier nicht, weiter
verfolgt wird. Nicht im einzelnen verfolgt werden soll hier auch die Frage,
worin denn ein solcher Kosmos der Werte, der zunächst als Vorausgesetztes
vor uns steht, seinen Bestand haben könne. Sie ist wieder eine metaphysische. Sollen jene Werte mehr sein als nicht weiter zu rechtfertigende,
wie in das Leere hinausprojiziert erscheinende Voraussetzungen, so müssen
sie hervorquellen aus dem wirklichen Leben eines höchsten Ideals, und zwar, da es sich ja zu höchst um geistige Personenwerte handelt, aus
einer unendlichen geistigen Persönlichkeit, mit einem
Worte: aus Gott. Nicht - soweit nicht die Pflicht der
Gottesverehrung selbst in Betracht kommt - so, als ob nun aus dem Begriffe Gottes als Erkenntnisgrund die ethischen Vorschriften deduziert werden
könnten; aber als aus der letzten ratio essendi [Seinsgrund] jener Werte.
Durch diesen metaphysischen Zusammenhang erhält zugleich nach mehreren
bedeutsamen außermetaphysischen Vorstufen, die hier beiseite bleiben -
die auf den Wert gehende ethische Pflicht ihre letzte,
metaphysische Begründung, das ethische Sollen, das mit dem ethischen Wert
nicht von selbst gegeben ist; denn dieser könnte ja an sich mit
einem bloßen Wünschen seinen Abschluß finden, das dann den
wirklichen Verlauf resigniert dem Lust- und Unlustmechanismus eines rein kausal
bedingten Geschehens überließe.
Das Pflichtbewusstsein zwar kann mannigfach entstehen, insbesondere durch
von außen oder von innen erwachsene Gewohnheit; die Pflichtgeltung aber
zuletzt nur durch einen berechtigten vernünftigen Willen. Nur darf dabei
das auf den spätmittelalterlichen Nominalismus zurückgehende und auch
von Kant bei seiner Polemik gegen die Heteronomie der
Moral vorausgesetzte Missverständnis nicht begangen werden, als solle
erst ein solches Willensdekret willkürlich und despotisch
den Unterschied von Gut und Böse aufstellen und äußerlich durch
den Zwang von Lohnverheißung und Strafandrohung befestigen; während
es sich doch nur um die Willenssanktion desjenigen handelt, was als Wert in
der subsistierenden Güte und Heiligkeit selbst wesenhaft begründet
ist. S.26-28
Aus: Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Herausgegeben von Dr.
Raymund Schmidt.
Zweiter Band: Erich Adickes / Clemens Baeumker / Jonas Cohn / Hans Cornelius
/ Karl Groos / Alois Höfler / Ernst Troeltsch / Hans Vaihinger . Leipzig
/ Verlag von Felix Meiner / 1921