Johann Jakob Bachofen (1815 – 1887)
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Schweizer
Rechtshistoriker und Altertumsforscher, der das »Mutterrecht«
entdeckte, deutete und als Begriff prägte. Unter »Mutterrecht«
verstand er »die Gynaikokratie der alten
Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur« mit
der ganzen Traumbeleuchtung und Beseeltheit des Mythus, die in ihm verborgen
ist. Gynaikokratie, d. h. die Herrschaft der
Frau, des weiblich-stofflichen Prinzips im Menschen, die religiös als
naturverbundener Kult der Urmutter Erde, des Schicksals, als organisch denkende »Urreligion« in antiken Grabsymbolen und juristisch als
»Mutterrecht« in Erscheinung tritt. Siehe auch Wikipedia |
Der Bereich
der Unteren und der Oberen
Das Verhältnis von Ei und Schlange ist immer
dasselbe:
dort das Weib, hier der Mann;
dort der stoffliche Urgrund, hier das entwickelte Leben;
dort der Begriff materieller Fülle, hier der der Tatkraft und Herrschaft;
Dort jener der Ruhe und Bewahrens, hier des Erwerbens, Vermehrens, des Kämpfens
in Angriff und Verteidigung;
dort Fortuna am Herde, hier der Schlangengenius, ganz dem Leben hingegeben,
es zeugend, erhaltend, beherrschend.
Darauf gründet sich die Duplizität des Königtums, wie sie zu
Rom in Romulus und Remus,
dann wieder im Konsulate und im Duumvirate
so mancher Magristraturen sich offenbart, und wie sie zu Sparta hervortritt.
Wäre das weibliche Urprinzip Vorbild der Herrschaft,
so könnte diese nur auf einem Haupte ruhen. Denn
der Urstoff ist an sich notwendig
einheitlich, zwiefach ist erst das aus ihm hervorgegangene
Leben, das eine zwiefache männliche Kraft, die des Werdens und die des
Vergehens, in Bewegung erhält und ewig wieder verjüngt.
Der Gegensatz des Eis und der Schlangen, des weiblich-stofflichen
Urprinzips und der männlichen Kraft der Bewegung, kehrt wieder in zwei Bezeichnungen, die
in dem alten Sakralrechte eine große Rolle spielen, in dem Begriff des »Sanctum« (Göttlich)
und »Sacrum«
(geweiht).
Jenes hat seine Wurzel in einer Eigenschaft des tellurischen Stoffes, dieses
entspricht dem Lichtreiche. Das
Sanctum steht unter dem Schutz der chthonischen Mächte, das Sacrum
ist den obern Göttern geweiht: ein Unterschied
der sich in Hieron und Hosion
wiederholt. Unter den »res sanctae«,
den »göttlichen Dingen«, werden
besonders die Mauern hervorgehoben. An diesem Beispiel lässt sich die Grundidee
der »Sanctitas« (Göttlichkeit
durch die Mächte der Erde) am klarsten erkennen.
Platons »Gesetze« gebrauchen von
Sparta den Ausdruck, der Gesetzgeber, der die Stadt mit Mauern zu umziehen verbot,
habe wohl daran getan, dieselben mit der Erde schlafen zu lassen. Longin tadelt diese Vergleichung als allzu kühn und geschmacklos, die Mauern schliefen
ja nicht und wachten auch nicht.
Aber der lateinische Ausdruck »excitare muros«,
die »Mauern erwecken«, ruht auf derselben
Grundanschauung und beweist, dass Platons Darstellung, und sollte er sie auch
einem Dichter entlehnt haben, einer hergebrachten Auffassung sich anschloss.
Diese erblickte offenbar in den aus der Erde Tiefen emporsteigenden Mauern eine
aus dem Mutterleibe hervorgehende Geburt, die in den finsteren Gründen
solange schlief, bis sie die Einwirkung den männlichen Kraft aus dem Schlummer
aufweckte und ans Licht hervorzog. Denn auch die geschlechtliche Tat des Mannes
heißt »erwecken«, »egeirein«,
welches dem »excitare« völlig
entspricht.
Also sind die Mauern wie die Bäume eine Geburt der Mutter Erde, und durch
die Fundamente, wie die Bäume durch die Wurzeln, mit dem Mutterleibe auch
nach der Geburt in fortdauernder fester Verbindung. In der Mauer wie in dem
Baume tritt die männliche Potenz ans Tageslicht. Der Phallus, der bisher
unsichtbar in der Erde Tiefen den Stoff begattete, kommt jetzt zuerst in dem
erscheinenden Produkte zur sichtbaren Darstellung. Darum wird der Baum zum Baume
des Lebens, wie schon in der mosaischen Darstellung und wie man, von demselben
Gedanken ausgehend, nach Philostrats Bericht, in
Lydien den Glauben hatte, die Bäume seien älter als die Erde, die
sie trägt; darum die Mauer zum männlichen »murus«
(das ist: Mauer), den die Alten gar oft mit dem Bilde des Phallus bekleideten,
nicht nur, woran man später allerdings hauptsächlich denken mochte,
um ihn durch den »fascinus« (Behexung
durch den Phallus) vor feindlichen Angriffen und Einflüssen zu schützen,
sondern weil er der Mauer selbst seine Entstehung gegeben, wie der phallische Poseidon Gensios mit Apollon vereint tief in der Erde zu Trojas Mauern den Grund legte.
Dieselbe Anschauung liegt noch in einer anderen Darstellung der Alten. Zum Schalle
der Erztrompete werden die Mauern eroberter Städte zerstört. Was von
Jericho gemeldet wird, kehrt bei den Römern wieder. Denn unter dem Schmettern
der Tuba wurden Albas Mauern zusammengerissen, und unter Beobachtung desselben
Sakralgebrauches riss Mummius der eroberten Korinthos Mauern ein. Nun lässt
diese Zerstörungsweise mit Sicherheit auf die Anschauungen zurückschließen,
welche über den Mauerbau vorherrschend sein mussten. Dass
Entstehen und Vergehen in vollkommener Übereinstimmung stehen müssen,
ist ein Satz, den die alte Jurisprudenz in vielen Anwendungen durchführt
und auch in ganz allgemeiner Fassung ausspricht.
Dem Schuldigen werden die Ketten nach erstandener Strafe abgenommen, dem Unschuldigen
nach erkannter Unschuld mit der Feile durchgesägt. Was die Gewalt geknüpft,
löst entgegengesetzte Gewalt. Was die Tuba zerstört, hat auch die
Tuba gebaut. Wie dies aufzufassen, lehrt der Mythus von Thebens Mauern, welche,
durch Amphions Leiertöne angeregt, selbsttätig sich aufbauen. Die
Erztrompete aber steht zu der phallischen Zeugung in nächster Beziehung.
Sie ruft den Stier Dionysos aus den zeugenden Meereswogen hervor, sie bringt
auch Achilleus aus dem skyrischen Weiberversteck, wo seine Männlichkeit
unter weiblichem Kleide verborgen und unbekannt ruhte, bis sie, wie
der Sohn aus dem Mutterleibe, ans Licht hervortrat. Der platonische und
der römische Ausdruck erhalten nur dann ihre volle Bedeutung, wenn wir
uns die »excitatio«, die »Erweckung«, durch Trompetenschall herbeigeführt denken. Durch Geräusch wird der
Schlafende geweckt, durch das gewaltige Traratantara der Tuba die Mauer aus
ihrem unterirdischen Schlummer zum Aufstehn gebracht.
Es zeigt sich als auch hier wieder die Vorstellung von einer zeugenden Mannestat,
welche der murus gleich dem Baume seine Entstehung
verdankt. Es ist die Schöpfung des tellurischen Phallus, der in ihm, wie
in einer männlichen Geburt zur sichtbaren Existenz gelangt. Seinen
stofflichen Urgrund hat er aus der Erde, weshalb
die Mauerkrone der großen Naturmütter Haupt ziert, seine Entstehung
aus der männlichen Kraft.
Er steht daher auch zu diesen beiden Potenzen in einem geheiligten Verhältnis:
zu dem weiblich-stofflichen Prinzip in dem des »Sanctum«,
zu der männlichen der Kraft in dem des »Sacrum«. Mit dem Mutterleibe der Erde in
fester Verbindung, ist er unverrückbar, und dieses »unbeweglich feststehend«, akineton,
bildet die eigentliche Grundbedeutung von sanctum. Über der Erde hervorragend
ist er die ans Licht getretene Phallus-Geburt und nun den Göttern des Lichtes
geweiht in diesem Verhältnis »sacer«
(geweiht). Sacrum heißt alles den
oberen Göttern Geweihte. Es bezieht sich also ebenso auf die Lichtnatur
der Männlichkeit, wie das Sanctum auf das Verhältnis
zur Erde.
Als »sancta res«, »unverrückbare
Sache« der Erdgottheit, ist die Mauer unlösbar von dem Stoffe,
mit dem sie fest verbunden dasteht, als »sacra«,
»geweihte«, dem Schutz der höheren
Lichtkraft, in deren Reich sie hineingeboren wurde, anheimgegeben. Ruht
in jener Eigenschaft des »Akineton«, das »Unbewegliche«,
so trägt diese die Sicherheit des göttlichen
Schutzes in sich. In jener hat die Mauer
die Eigenschaft der Erde selbst, die unbewegliche Ruhe und die eingeborene Göttlichkeit,
in dieser wird sie wie durch den Phallus, so durch die Schlangen gegen jeden
feindseligen Angriff geschützt und verteidigt. So steht auf dem Tore von
Mykene die von Sonnenlöwen gehaltene Sonnensäule, das Zeichen des höchsten Schirms durch die höchste Potenz der göttlichen Kraft.
Die Himmlischen bewachen, was der Mensch
ihnen zum Eigentum überträgt. Die»Sanctitas«
(Erd-Göttlichkeit) drückt nur eine Eigenschaft, wenn auch eine
in den Religionsanschauungen des Tellurismus begründete, aus; den Begriff
des Schutzes und der Verteidigung trägt sie nicht in sich. Diese liegt
in der »consecratio« (Weihung,
Anheimgabe an die Lichtgottheit) und der daraus für die Gottheit
entstehenden Pflicht des Schutzes. S.50ff.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 52, Johann Jakob Bachofen,
Mutterrecht und Urreligion. Eine Auswahl. Herausgegeben von Rudolf Marx.
Veröffentlichung auf Philos-Website mit
freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlages, Stuttgart