Muhammad Asad, ursprünglich Leopold Weiss (1900 - 1992)
Muhammad Asad wurde als Sohn jüdischer Eltern unter dem Namen Leopold Weiss in Lemberg geboren und wuchs in Wien auf. Als Enkelsohn eines jüdischen Rabbiners erhielt er eine gründliche jüdische Ausbildung, die ihn befähigte die Grundlagen des Judentums zu verstehen. Dieses gefiel ihm jedoch in philosophischer und theologischer Hinsicht nicht, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass Gottvater seine fürsorgliche Aufmerksamkeit primär nur auf eine kleine auserwählte Volksgruppe beschränken sollte. Da ihn jedoch auch das Christentum theologisch nicht zufrieden stellen konnte, konvertierte er 1926 zum Islam, der ihm als ein geeigneter Ausweg erschien. Unter dem Namen Muhammad Asad meisterte er eine außergewöhnlich erfolgreiche islamische Karriere, in der er u. a. ein persönlicher Freund von König Ibn Saud wurde, an dessen Hof er längere Zeit verbrachte. Asad war an der Gründung Pakistans maßgeblich beteiligt und jahrelang Botschafter Pakistans bei der UNO in New York. Er übersetzte den Koran ins Englische und verfasste Essays und Bücher über die geistigen und weltanschaulichen Grundlagen des Islam. Siehe auch Wikipedia |
Inhaltsverzeichnis
Gott kann nicht mit Begriffen des menschlichen Erfahrungsschatzes beschrieben werden
Unsterblichkeit der menschlichen Person
Gott
kann nicht mit Begriffen des menschlichen Erfahrungsschatzes beschrieben werden.
Da jene Aspekte oder Sektoren der Wirklichkeit, die sich der menschlichen Wahrnehmung
entziehen, eo ipso außerhalb der menschlichen Erfahrung liegen, kann man
sie natürlich nicht mit den Kategorien und Begriffen der menschlichen Erfahrung
beschreiben. Aus diesem Grunde sagt die dritte Sure des Korans ausdrücklich:
«Diese Offenbarung enthält Botschaften, die
in und an sich klar sind, sowie auch andere, die allegorisch sind.»
Es erhellt ohne weiteres, daß alle ethischen, moralischen und gesellschaftlichen
Lehrmeinungen des Korans zur Kategorie der Botschaften gehören, «die
in und an sich klar sind», während alle Hinweise auf jene
Aspekte der Wirklichkeit, die außerhalb unseres Wahrnehmungsvermögens
liegen und sich deshalb unserer Erfahrung verschließen, notwendigerweise
allegorisch gefaßt sind. Zur letzteren Kategorie gehören, zum Beispiel,
alle Hinweise auf Gott und seine «Eigenschaften»,
die Beschaffenheit der Wesen oder Kräfte, die als «Engel»
bezeichnet werden, das Leben nach dem Tode, das Letzte Gericht, Paradies und
Hölle und so weiter. Es scheint mir, daß man den obenan zitierten
koranischen Satz nie richtig verstehen kann, ohne sich über das Wesen und
die Funktion der «Allegorie» als solcher
klarzuwerden. Eine echte Allegorie — im Gegensatz zu einer
«bildhaften Paraphrase» von Gedanken, die ebensogut oder
vielleicht sogar besser durch eine direkte Aussage ausgedrückt werden könnten
— ist ausschließlich dazu berufen, mittels einer bildhaften Darstellung
etwas auszudrücken, das wegen seiner vielschichtigen Kompliziertheit eben
nicht durch eine direkte Aussage ausgedrückt und somit nur intuitiv erfaßt
werden kann.— und zwar nur in der Form einer sinnbildlichen Vorstellung,
niemals aber in der Form von klar umrissenen Aussagereihen. Dieses Merkmal der
Allegorie betrifft insbesondere die islamische Auffassung Gottes, der –
wie der Koran sagt - «über alle Möglichkeiten
der Definition hinaus erhaben ist». Es ist eben aus diesem Grunde,
dass Gott nicht mit dem Begriff «Person» (im
menschlich-semantischen Sinne) umschrieben und begrenzt werden kann. Um diese
Unmöglichkeit zum Ausdruck zu bringen, spricht Gott von sich selbst im
Koran – oftmals in ein und demselben Satz – als «Ich»,
«Wir» und «Er», während das zugehörige
Zeitwort ständig zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft abwechselt.
Wenn man nun die große Präzision in Betracht zieht, die der arabischen
Sprache (und ganz besonders dem Koran eigen) ist, nimmt dieses Ineinanderfließen
der persönlichen Fürwörter und der Zeiten eine außergewöhnliche
Bedeutsamkeit an: es kommt nämlich der indirekten Aussage gleich, dass
Gott in Unendlichkeit und Zeitlosigkeit besteht und niemals begrifflich umschrieben
oder gar beschrieben werden kann. S.79f.
Aus: Die Antwort der Religionen, Eine Umfrage mit
31 Fragen von Gerhard Szczesny bei »Glaubensfachleuten« der großen
Bekenntnisge-meinschaften Judentum, Katholizismus, Protestantismus, Islam, Hinduismus,
Buddhismus, Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH , Reinsbek
bei Hamburg 1971
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Genehmigung von Frau
Claudia Szczesny-Friedmann, München
Unsterblichkeit
der menschlichen Person
Nirgends im Koran findet man eine Anspielung auf Unsterblichkeit
in bezug auf den Menschen. Gott allein ist
unsterblich und ewig, während alle Seine Schöpfung Seinem Willen
gemäß vergänglich ist und früher oder später vergehen
muß. Nichtsdestoweniger spricht der Koran immer wieder von einer
Fortdauer des Lebens nach dem Tode — d. h. von der Tatsache,
daß der sogenannte «Tod» des
Körpers nicht ein Ende des menschlichen Daseins ist, sondern vielmehr der
Anfang einer neuen Daseinsstufe von unbestimmter Dauer. Dieser neue Anfang wird
im Koran als «Auferstehung» bezeichnet
— nämlich Auferstehung der gesamten menschlichen
Persönlichkeit in dem Sinne, den ich in meiner Antwort auf die vorhergehende
Frage angedeutet habe. Man kann natürlich nicht sagen noch auch sich vorstellen,
welche Art von Organismus diese wiederbelebte «Persönlichkeit»
haben wird. Alle koranischen Hinweise auf unser Leben nach dem Tode sind allegorisch
gefaßt: dies ist unvermeidlich, denn sie sind ja durch das Mittel einer
menschlichen Sprache ausgedrückt und somit auf Begriffen aufgebaut, die
der gegenwärtigen menschlichen Erfahrung
entspringen. Aber ein Aspekt unseres Lebens nach dem sogenannten «Tode»
wird ständig und nachdrücklich im Koran erwähnt: die ununterbrochene
Fortdauer des persönlichen Bewußtseins.
In dieser Hinsicht gibt es gar keinen Bruch zwischen dem Dasein des Menschen
vor und nach dem Tode. Wie sehr auch unser biologischer Organismus sich nach
der Auferstehung wandeln möge (und ganz unabhängig von der Frage,
ob er dann noch immer einen «biologischer Organismus»
im Sinne unserer gegenwärtigen Erfahrungen darstellen wird), hebt der Koran
immer wieder hervor, daß jeder von uns persönlich
fortzuleben bestimmt ist und daß wir unser individuelles Bewußtsein
— und somit auch die moralische Verantwortlichkeit für unser vergangenes
Tun — mit in den neuen Daseinzustand übernehmen. Diese Fortdauer
des Bewußtseins wird von einer großartigen Erweiterung unseres Wahrnehmungsvermögens
begleitet sein und somit auch eine vielfache Steigerung unseres Gefühls
der Verantwortung für alles, was wir vor dem «Tode»
taten, mit sich bringen. In diesem Zusammenhang erhalten alle Hinweise auf den
Glücks- oder Leidenszustand des Menschen in seiner neuen Lebensphase —
symbolisiert durch Paradies und Hölle — eine Bedeutung, die weit
über die üblichen Begriffe von «Belohnung»
oder «Bestrafung» hinausgeht: unser
jeweiliger Zustand nach der Auferstehung erweist sich nämlich als eine
unvermeidliche Folge unseres vergangenen,
rechtlichen oder unrechtlichen, Tuns und Seins — eine organische Weiterentwicklung,
wenn auch auf einem unvergleichlich höheren Niveau, unseres vorhergegangenen
Daseins. Zu welchen ferneren Zielen diese Fortsetzung und Weiterentwicklung
führen wird, ist eine Frage, auf die wir erst nach unserer Wiederauferstehung
eine Antwort finden werden. S.97f.
Aus: Die Antwort der Religionen, Eine Umfrage mit
31 Fragen von Gerhard Szczesny bei »Glaubensfachleuten« der großen
Bekenntnisge-meinschaften Judentum, Katholizismus, Protestantismus, Islam, Hinduismus,
Buddhismus, Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH , Reinsbek
bei Hamburg 1971
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Genehmigung von Frau
Claudia Szczesny-Friedmann, München