Bettina von Arnim (1785 – 1859)

  Deutsche Dichterin der Frühromantik und Frauenrechtlerin. Bettina hieß ursprünglich Elisabeth Catharina Brentano und war die Schwester von Clemens von Brentano. 1811 heiratete sie den Dichter Achim von Arnim, mit dem sie drei Töchter und vier Söhne hatte. Sie war u. a. auch mit Beethoven, Franz Baader, Goethe, Görres, den Brüdern Grimm und Jacobi, Schleiermacher, Tieck bekannt. In ihrem gefühlvollen Briefwechsel, den sie später mit Hilfe ihres originellen Einfallsreichtums stilistisch in eine ausdrucksstarke poetische Form goss, hat sie u. a. ihrer begeisterten Liebe zu Goethe, Karoline von Günderrode und ihrem Bruder Clemens Ausdruck gegeben. In ihren späteren Jahren befasste sich in ihrer unkonventionellen Art mit sozialpolitischen und frauenrechtlichen Fragen, wobei sie diese unerschrocken und unverblümt in Briefen an den König oder Büchern, die sie ihm widmete, direkt ansprach.

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Warum bin ich geboren?
Jetzt fang ich an zu fühlen, was ich da bin. Alle Morgen bet ich, wenn ich aufwache:
»Lieber Gott, warum bin ich geboren«, und jetzt weiß ichs, — darum, dass ich nicht so unsinnig sein soll wie die andern sind, dass ich den reinen Pfad wandle in meinem Herzen bezeichnet, für was hätt ihn der Finger Gottes mir eingeprägt und meine fünf Sinne in die Schule genommen, daß ein jeder ihn buchstabieren lerne, wenn es nicht wär diesen Weg zu bekennen. — Ja man muss dem Menschen Weisheit zumuten und sie ihm als den einfachen Weg der Natur vorschreiben, aber das Verleugnen eines großen mächtigen Weltsinnes in uns, ist immer Folge unseres Sittenlebens mit andern, das hängt sich einem an, dass man keinen freien Atemzug mehr tun kann, nicht groß denken, nicht groß fühlen aus lauter Höflichkeit und Sittlichkeit. Günderode S.377f. (S.98)

Gott ist Poet, er schafft aus dem Geist
Gott schuf die Welt aus Nichts, predigten immer die Nonnen, — da wollt ich immer wissen, wie das war — das konnten sie mir nicht sagen und hießen mich schweigen, aber ich ging umher und schaute alle Kräuter an, als müsste ich finden, aus was sie geschaffen seien. Jetzt weiß ichs, er hat sie nicht aus nichts geschaffen, er hat sie aus dem Geist geschaffen, das lern ich vom Dichter, von Dir, Gott ist Poet, ja — so begreif ich ihn ... Wenn Gott den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen, so begreife ich dies so, Gott hat eine Persönlichkeit, die kann aber er selbst nur fassen, denn er steht sich selbst allein gegenüber, aber als Poet verschwindet ihm seine Persönlichkeit, sie löst sich auf in die Erfindung seiner Erzeugung. So ist Gott persönlich und auch nicht. Günderode S.250f. (S.120)

Was sag ich Dir da? — Ach ich habs einen Augenblick verstanden, was Gott ist, als könnt ichs in den Wolken lesen, und da sah ich am Himmel, wie der Mond hervorschwippt, und zerstreut mir die Gedanken, dass ich eben gar nichts mehr lesen kann, alles ist zerflossen, und die Worte da oben, in denen ichs festhalten wollt, die sind verschwommen, ich habs mit andern Worten müssen reden, es ist nicht recht, wie ichs gemeint hab. Ja, Gott läßt sich nicht fangen, ich dacht, ich hätt ihn schon. — Aber das eine hab ich behalten, dass Gott die Poesie ist, dass der Mensch nach seinem Ebenbild geschaffen ist, dass er also geborner Dichter ist, dass aber alle berufen sind und wenige auserwählt, das muss ich leider an mir selber erfahren, aber doch bin ich Dichter, obschon ich keinen Reim machen kann, ich fühls, wenn ich gehe in der freien Luft, im Wald oder Bergen hinauf, da liegt ein Rhythmus in meiner Seele, nach dem muss ich denken, und meine Stimmung ändert sich im Takt. Günderode, S.252 (S.127)

Gott ist Liebe
Wer liebt, der stimmt ein in die Liebe Gottes, und durch ihn und in ihm reift auch der göttliche Segen. I, S.375, Tagebuch für Goethe (S.125)

Wenn deine Liebe nicht mehr ist, so bist Du nichts, Du bist alles durch diese Liebe, es ist die Gestalt, in welcher Gott Dir erscheint und zu Dir spricht. Freyberg, S.72 (S.126)

Die Seele atmet durch den Geist, der Geist atmet durch die Inspiration, und die ist das Atmen der Gottheit.
Das Aufatmen des göttlichen Geistes ist Schöpfen, Erzeugen; das Senken des göttlichen Atems ist Gebären und Ernähren des Geistes, so erzeugt, gebärt und ernährt sich das Göttliche im Geist; so, durch den Geist in der Seele, so durch die Seele in dem Leib. Der Leib ist die Kunst, — sie ist die sinnliche Natur, ins Leben des Geistes erzeugt...

Gott selbst hat keine andere Herberge als den Geist des Menschen. Der Erfinder ist die Liebe. Da nur das Umfassen der Liebe das Dasein gründet, so liegt außer diesem Umfassten kein Dasein, kein Erfundenes. — Das Erfinden ist nur ein Gewahrwerden, wie der Geist der Liebe in dem von ihr begründeten Dasein waltet.
Der Mensch kann nicht erfinden, sondern nur sich selbst empfinden, nur auffassen, erkennen, was der Geist der Liebe zu ihm spricht, wie er sich in ihm nährt und ihn durch sich belehrt. — Außer diesem Gewahrwerden der göttlichen Liebe, in Sprache der Erkenntnis umsetzen:
ist keine Erfindung ...

Die Schönheit der irdischen Form ist der Spiegel der Seligkeit des liebenden Geistes, wie die Schönheit der Seele der Spiegel der Seligkeit der liebenden Gottheit ist
. II, S.290, An Goethe (S.128f.)

Göttliche Gewalt.
Göttliche Gewalt ist über alles Maß und unbegreiflich, aber wen sie durchdringt, der begreift sie dann auch, und das ist das ganze Rätsel eines hohen Geschicks — durchdrungen sein von göttlicher Gewalt. II, S.606, An Nathusius, (S.130)

Wir sind Geschöpfe, die Geister werden.
Für den Himmel werden wir neu erschaffen, wir sind Geschöpfe, die Geister werden. Unsere geistige Vorbildung hier auf Erden begründet unsere Individualität jenseits. II, S.636, An Nathusius (S.124)

Der Glaube ist das Herrlichste.
Ich habe Gott gebeten..., dass er täglich mich näher zu ihm bringen möge, dass er meinem Gebet mehr Feuer verleihen möge; dass Christus, der seine Apostel Freunde nannte, mich heiligen und stärken soll im Glauben — da fiel mir ein diese liebste Stelle im Evangelium Joh: wie er nach seiner Auferstehung am Ufer des Meeres seinen Jüngern erscheint, und Petrus sich gürtet, ins Wasser springt, ihn schneller zu erreichen, und er die belohnende Frage an Petrus tut: Liebst Du mich mehr denn diese? — ich hab darüber nachgedacht, ob mir wohl auch ein solcher Glaube geworden wäre, daß ich mich ins Meer gestürzet, in festem Vertrauen auf Gottes Hilfe — der Glaube ist das höchste Herrlichste, aus der Liebe nimmt er seine Urkraft, und die Hoffnung wird an ihm zur Wahrheit. Freyberg, S.135f. (S.125)

Der Glaube ist Befestigung, und ohne diesen schwebt und gewinnt keine Gestalt und verfliegt in tausend Auswegen, die die erschaffende Natur noch nicht unter sich gebracht hat ... Der Glaube ist die Erscheinung Gottes in der Zeit; der Glaube ist Gewissheit und Ewigkeit; die Erscheinung Gottes ist immer ewig, in jedem Augenblick, und so ist der Mensch ewig, denn sein Sein ist Gottes Erscheinung. Gott aber ist alles, das das Gute ist, im Gegensatz gegen Nichts, das das Böse ist. Freyberg, S,136f. (S.133)

Was ist Religion?
Religion hängt nicht von gemischten Ehen, von Ablass, von Religionswechsel, von sonstigen Gebräuchen und Missbräuchen ab, sie hängt ab und geht aus von der Befriedigung der innern Gewissensstimme, die immer höher sich steigert, je mehr sie sich geltend macht, die immer gewaltiger Tiefen dem Forscher nach Weisheit bietet, die immer höhere Flüge wagt ins ungemessne Gebiet der Freiheit, die immer erweiterte Kreise der Großmut bildet, nichts von Eigensucht weiß, sich keine Fesseln anlegen lässet von Meintum, ewig und ewig alles Leben umfasst und durchdringt.
II, S.577, An Nathusius (S.129)

Wahre Religion ist nackter Geist, wir haben aber aus der Religion ein Gewand gemacht, was wir dem Geist anhängen, denn auch im Geist sind wir unkeusch und können die Nacktheit des Geistes nicht ertragen, das heißt, wir können die Reinheit nicht anschauen, wir schämen uns, weil wir selber nicht rein sind. Aber Gott liebt die Nacktheit, er zieht der Seele das Kleid — den Leib aus, um sie ganz rein und nackt zu haben, was sollte auch noch der Leib zwischen der Seele und der göttlichen Liebe? II, S.635, An Nathusius (S.129f.)

Denken ist Religion, fürs erste Feueranbeten, wir werden einst noch weiter schreiten, wo wir dem ursprünglich göttlichen Geist uns vereinen, der Mensch geworden und gelitten hat, bloß um in unser Denken einzudringen; so erkläre ich mir das Christentum als Symbol einer höheren Denkkraft, wie mir denn überhaupt alles Sinnliche Symbol des Geistigen ist. Freyberg, S.116 (S.132)
Auch enthalten in: Bettina von Arnim, »Meine Seele ist eine leidenschaftliche Tänzerin« Herausgegeben von Gertrude und Thomas Sartory. Ausgewählt und eingeleitet von Otto Betz
Herderbücherei »Texte zum Nachdenken«, Band 935, Verlag Herder Freiburg Die in Klammern angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Herder-Ausgabe