Johann Arndt (1555 –1621)
>>>Gott
Alles und in allem Christus
Die einzige Wahrheit ist Christus selbst, und er selbst ist auch der einzige
Weg dazu. Dieser einzige Weg ist nun sein Leben; wer diesen Weg geht, der kommt
zu der einigen Wahrheit, das ist zu Christo selbst. Gingen wir nur diesen Weg
und folgten dem Herrn Christo im Leben nach, wir bedürften nicht viel Bücher
und Wegweiser, und das einige Leben Christi wäre uns anstatt vieler tausend
Bücher, und Christus, das ewige Licht, würde
uns bald erleuchten und im Glauben einig machen.
So soll nun Christus unser Herr und Spiegel sein und die Richtschnur unseres
ganzen Lebens, dahin unser Herz, Sinn und Gedanken sollen gewendet sein, wie
wir zu ihm kommen, durch ihn selig werden und ewig mit ihm leben mögen,
dass wir unseres Endes mit Freuden warten mögen. Das muss nun
also geschehen, dass alle unsere Arbeit, Handel, Wandel, Beruf im Glauben
geschehe, in der Liebe und Hoffnung des ewigen Lebens. Oder noch deutlicher,
dass in allen Dingen, was man tut, des ewigen Lebens und der ewigen Seligkeit
nicht vergessen werde. S.27
Von
der Erlösung durch Christi Blut
Ach, lieber Herr Christe, bekleide meine Seele, die nackt
und bloß ist von aller Gerechtigkeit, mit deiner Unschuld und deinem allerheiligsten
Gehorsam, dass ich nicht bloß erfunden werde, sondern auf deine himmlische
und ewige Hochzeit das rechte hochzeitliche Kleid mitbringe, welches ist Christus
selbst, und nicht ewig möge zuschanden werden. Amen.
Den gekreuzigten Christus stellt uns Gott vor Augen als ein Buch des Lebens,
aus welchem wir die allerheiligste Weisheit lernen und studieren sollen. Denn
in ihm ist die Schrift, alle Propheten und das ganze Gesetz vollkommen erfüllt
durch vollkommenen Gehorsam bis in den Tod, durch Erleidung der schrecklichen
Strafe und des Fluches für die Sünden der Welt.
Wie heilig ist die Stätte, hie ist Gottes Haus und die Pforte des Himmels,
darum gehe hinein, liebe Seele, in dies arme Hirtenhäuslein, setze dich
nieder bei dieses edle Kripplein, besser ist hier sein und wohnen in diesem
verachteten Stall denn in den güldenen Palästen der Könige, denn
hier ist der rechte Schmuck, der aller Welt Herrlichkeit übertrifft, der
Schöpfer der Welt, der Herr des Himmels, der herrschet über den ganzen
Erdboden.
Das Meer kann nicht eher gestillet werden, es sei denn Jonas ins Meer geworfen.
Gottes Zorn ist unendlich und kann ihn kein Mensch mit seinen Werken versöhnen
und stillen. Christus muß ins Meer hineingeworfen werden: Christi Tod,
Kreuz und Blut allein tut‘s.
Wider die schwere Last der Sünden, wider die Kraft und Macht der Sünden,
Fluch, Tod, Hölle und Verdammnis ist kein ander Mittel zu finden gewesen
denn das teure, allerkräftigste Blut Jesu Christi. Gott hat auch kein ander
Mittel nach seiner ewigen Weisheit dazu verordnet denn das Blut seines lieben
Sohnes, denn das hat eine allmächtige, ewige, unüberwindliche Kraft
von Sünden zu reinigen.
Der Herr Christus hat sein Leiden vollbracht. Er hat nichts mehr gewusst,
das übrig wäre zu leiden, er hat an seinem Leibe alles gelitten, an
seiner Seele alles, an seiner Ehre alles, auf daß er uns mit Leib und
Seele erlösete und in die höchste Würde und Ehre wieder einsetze.
Hätte er noch etwas mehr gewusst, er hätte es auch gern gelitten.
Darum ist sein Leiden vollkommen.
Wie ein Weinträublein in der Kelter gepresset wird, daß es all sein
Vermögen von sich geben muß, also ist Christus, die edle Weintraube
aus dem Gelobten Lande, in der Kelter des Zornes Gottes gepreßt worden,
daß er all sein Vermögen von sich gegeben, daher ist sein Schweiß worden wie Blutstropfen, die fielen auf die Erde.
Wenn ein jeder Mensch aller Welt Sünden allein auf sich hätte und
so viel Welten voll Sünde wären, als Menschen sind: so wäre doch
Christi Verdienst und Gerechtigkeit größer... So geht Christi königlicher
Sieg, Triumph und Überwindung über alle Macht, über alle Menge
und über alle Größe der Sünden, über alle Gewalt des
Teufels, des Todes und der Hölle. Wie sollte denn Christi Sieg und Überwindung
nicht über deine Sünden gehen? Sollte denn deine Sünde allein
stärker sein als Christus, der allmächtige König?
Das ist der größeste und vollkommene Gehorsam, ein Fluch werden am
Holz und daran sterben, und darum ist auch durch diesen vollkommenen Gehorsam
Gott vollkömmlich versöhnet, der Zorn Gottes von uns abgewandt, die
Sünde getilget und aller Menschen Ungehorsam gebüßet und die
ewige Strafe hinweggenommen.
Christus hat unsre Schuld auf sich genommen und war selbst schuldig worden aus
Liebe — darum war er geduldig.
Gott konnte Christum zwar nicht verlassen, denn er war ja selbst Gott, ja er
war und blieb Gott, da er am Kreuze hing, da er starb, da er begraben ward;
und klagt dennoch, Gott habe ihn verlassen. Aber er hat mit seinem kläglichen
Geschrei anzeigen wollen, dass ihm Gott als einem Menschen seinen Trost
entzogen, sich vor ihm verborgen, und uns sein großes Elend durch sein
klägliches Geschrei offenbaren wollen.
Christus hat müssen von Juden und Heiden gekreuzigt werden, zum Zeugnis,
dass er für der ganzen Welt Sünde gelitten und der Juden und
Heiden Sünde getragen hat, auf daß sie sich alle zu ihn bekehreten
und der Frucht seines Leidens teilhaftig würden. Aller Menschen Sünden
haben Christum gekreuzigt, sie sind Juden oder Heiden, auf daß er für
alle genug täte und eine Kirche aus ihnen machte durch den Glauben.
Wie die Kriegsleute, die zu einer Fahne geschworen, sich zu derselben halten
und versammeln, also ziehet Christi Kreuz alle gläubigen Seelen nach sich.
Wie der Herr spricht: Wenn ich erhöhet werde, will ich euch alle nach mir
ziehen. Wie ein Magnet das Eisen nach sich zieht, also will Christi Kreuz und
Liebe, der himmlische Magnet, unsere eisernen Herzen nach sich ziehen.
Zeuch uns nach dir, so laufen wir, sagt das Hohelied Salomonis. Christus zieht
uns durch seine Liebe, durch seinen kräftigen Trost, durch seinen Geist;
wenn wir diese Kraft im Herzen empfinden, so umfangen wir das Kreuz Christi und herzen‘s aus Liebe und Freude.
Was am Sinai unter Donnern, Blitzen und Erdbeben geschah, das geschieht in den
Herzen der Menschen geistlich, da offenbart Gott sein Gesetz auch in Schrecken,
Zittern und Zagen, und wo nun das Evangelium, Gottes Gnade und Christus nicht
käme und uns errettete aus dieses scharfen Zuchtmeisters Hand, so müssten
wir verzagen.
Er ist verworfen, auf dass wir nicht ewig verworfen werden. Er ist verleugnet,
auf dass er uns bekenne vor Gott und allen heiligen Engeln. Alles, was
er gelitten hat, dienet zu unserm Heil, zur Bezahlung unserer Sünde, zu
unserer Gerechtigkeit und Seligkeit, und sein Leiden ist unser rechter Heilbrunn wider alle unsere Sünde und ein rechter Baum des Lebens wider alles Gift
der Sünde und des Todes, ein schönes Licht unsers Lebens, dass
wenn uns die Welt verwirft und verleugnet und nicht kennen will, so machet sich
Gott desto näher zu uns und so werden wir im Himmel bekannt und angenehm.
Sollte ich nicht eher beten, als bis ich mich würdig oder tüchtig
finde, so müßt ich nimmermehr beten. Sollte mir Gott nicht eher zu
Hilfe kommen oder etwas geben, als bis ich denn heilig oder gerecht vor mir
selbst wäre: so müsste er mir nimmermehr etwas geben . . . Deine
Würdigkeit hilft nichts. Deine Unwürdigkeit schadet nichts; Christus
hat sie zugedeckt und vergeben... Wie ein Tröpflein Wassers vom Meere verschlungen
wird, also sind meine Sünden gegen die unbegreifliche Gnade Jesu Christi.
Er hat nicht allein weniger müssen und sollen werden denn ein Engel und
sich aller seiner Stärke und Vermögens äußern und verziehen,
sondern er hat auch weniger müssen werden denn ein Mensch, der allerelendeste
und verachtetste unter allen Menschenkindern, wie er sagt im 22. Psalm: Ich
bin ein Wurm und kein Mensch. Ich bin viel geringer denn ein Mensch, ich bin
ein Wurm.
Also ist Christus unser geworden, dass wir ihn zu unserer Seligkeit gebrauchen
können, wie wir wollen. Darum siehe, lieber Christ, du kannst ihn gebrauchen
zu einer Arznei der Seele; zu deiner Speise und deinem Trank, dich damit zu
erquicken; zu deinem Brunnen des Lebens wider den Durst deiner Seele; zu deinem
Licht in der Finsternis, zu deiner Freude in der Traurigkeit, zu deinem Beistande
und Fürsprecher wider deine Ankläger; zur Weisheit wider deine Torheit
zur Gerechtigkeit wider deine Sünde; zur Heiligung wider deine Unwürdigkeit;
zur Erlösung wider dein Gefängnis; zum Gnadenstuhl wider das Gericht;
zur Lossprechung wider das letzte Urteil; zu deinem Frieden und deiner Ruhe
wider dein böses Gewissen; zu deinem Sieg wider alle deine Feinde; zu deinem
Kämpfer wider deine Verfolger; zu deinem Bräutigam für deine
Seele; zu deinem Mittler wider Gottes Zorn; zu deinem Opfer für deine Missetat;
zu deiner Stärke wider deine Schwachheit; zu deinem Wege wider dein Irrsal;
zu deiner Wahrheit wider die Lüge; zu deinem Leben wider den Tod; zu deinem
Rat, wenn du keinen Rat weißt; zu deiner Kraft, wenn du kraftlos bist;
zu deinem ewigen Vater, wenn du verlassen bist; zu deinem Friedefürsten
gegen deine Widersacher; zu deinem Lösegeld für deine Schuld; zu deiner
Ehrenkrone wider deine Verachtung; zu deinem Lehrer wider deine Unwissenheit;
zu deinem Richter wider deine Beleidiger; zu deinem König wider des Teufels Reich; zu deinem ewigen Hohenpriester, der für uns bittet.
Wie Christus gar versunken ist in seiner Schwachheit nach menschlicher Weise,
dass er in sich selbst kraftlos, ratlos, trostlos und hilflos sich empfunden,
darum er auch gezaget hat, also wirst du in deine eigene Nichtigkeit und Elend
gar hineinsinken und in dir weder Hilfe noch Rat sehen und finden, ja in dir
selbst gar zu nichte werden. Siehe, wenn du das tust, so wirst du dich in den
Grund der Barmherzigkeit Gottes senken, der keinen Elenden lässet versinken.
Denn je tiefer du in deiner Schwachheit niedersinkest, je tiefer du dich in
Gottes Gewalt und Stärke einsenkest, das ist Gottes Weise, dass er
hält alle, die fallen und richtet auf, die niedergeschlagen sind. Je tiefer
ein Mensch sich selbst in sein Elend senket, je tiefer er sich in Gottes Gnade
und Barmherzigkeit versenket.
Dass ihr ja eure Sünde nicht größer achtet denn Christi
Verdienst, und hinwider Christi Verdienst ja nicht geringer achtet denn aller
Welt Sünde!
Unser Herr Jesus Christus hat uns mit seinen heiligen Wunden einen geistlichen,
verborgenen Schutz und Schirm zugerichtet wider Sünde, Tod und Teufel,
da hinein können wir kriechen durch den Glauben in großen geistlichen
Nöten und Anfechtungen, in großer Angst unseres Herzens und Gewissens.
Siehe, wenn dich nun deine Sünden betrüben, wenn du dich aber in Christo
ansiehest, siehe, so bist du rein, so heilig vor Gott, so gerecht, dass
auch deine Gerechtigkeit über alle Engel geht.
Die gnädige Vergebung der Sünden, welche das reuige Herz im wahren
Glauben ergreift und empfängt, erstattet alles vor Gott, was wir nicht
können oder vermögen wiederzubringen. Da ist denn Christus mit seinem
Tode und Blut und erstattet alles. Jetzt ist‘s so vollkommen vergeben,
als wenn es nie geschehen wäre.
Wenn uns nun das Gesetz anklaget, verdammt und vermaledeit, in unserm Gewissen
uns ängstigt und bange macht, und gleichsam in uns lebendig wird mit seiner
Vermaledeiung, so sollen wir uns des trösten, daß Christus an unserer
Statt das Gesetz erfüllet hat, und sollen unsere Gewissen zu Christo weisen
und zu seiner Genugtuung.
Solange der Streit im Menschen währt, solange herrscht die Sünde nicht
im Menschen. Denn wider wen man immer streitet, der kann nicht herrschen. Und
weil sie im Menschen nicht herrscht, indem der Geist wider die Sünde streitet,
so verdammt sie auch den Menschen nicht. Und ob du gleich noch viel Schwachheit
des Fleisches fühlst, und nicht alles tun kannst, was du gern wolltest,
so wird doch dir als einem bußfertigen Menschen das Verdienst Christi
zugerechnet und mit seinem vollkommenen Gehorsam deine Sünde zugedeckt.
Und also hat in solcher täglichen Buße, wenn man von Sünden
wieder aufsteht, die Zurechnung des Verdienstes Christi allezeit statt. Denn
daß ein gottloser, unbußfertiger Mensch, der die Sünde weidlich
in sich herrschen läßt, und des Fleisches Lust weidlich nützet,
sich das Verdienst wollte zurechnen, ist umsonst und vergeblich. Denn was sollte
dem Christi Blut nützen, der dasselbe mit Füßen tritt?
Darum sollen wir diesen Trost wohl fassen, sonderlich in Todesnot, dass
wir wissen, es ist nichts mehr not zur Bezahlung für unsere Sünden.
Sie sind alle hinweggenommen neben der ewigen Strafe und Pein, und wir bedürfen
nichts mehr zu unserer Seligkeit, denn dass wir uns in Christi vollkommenes
Verdienst einwickeln durch den Glauben und darin entschlafen.
Wie froh und fröhlich wird unsere Seele sein, wenn sie wieder zu Gott kommt,
und der allmächtige Gott ihr alles wirklich überreichen wird, was
Christus verdienet und erworben hat; denn aus den Gnadenhänden des allmächtigen
Gottes muss es unsere Seele empfangen, darum befehlen wir billig unserem
lieben Gott und Vater unsere Seele in seine getreuen Vaterhände. S.42ff.
Aus: Johann Arndt, Vom gottseligen Leben
Eine Auswahl aus Johann Arndts Werken, herausgegeben und eingeleitet von Gertrud
Wasserzug
R. Brockhaus Verlag Wuppertal