Husain ibn Mansur al-Halladsch (857 – gehängt 922)
Islamischer
Mystiker und Theologe, der die völlige Einswerdung des Mystikers mit Gott lehrte. Dieses Selbstverständnis ist in seinem Ausspruch »Ana
I-hakk« (arabisch: »Ich bin Gott«) ausgedrückt,
der dann zur Anklage als Ketzer und zu seiner Hinrichtung führte. Schon
zu Lebzeiten von ungeheurem Einfluss auf die Massen, wird er weithin (auch
von den Gebildeten) — als Verkörperung eines vergeistigten
Islam — verehrt. Siehe auch Wikipedia |
Inhaltsverzeichnis
Wo bist du?,
Allah und Mensch, Lobpreis Allahs, Die Erkenntnis Allahs,
Gebet des al-Halladsch in der Nacht vor seiner Hinrichtung
Gebet des al-Halladsch vor seiner Hinrichtung
Gott ist das Licht des Himmels und der Erde
Wo
bist du?
Ich sah meinen Herrn mit dem Auge des Herzens. Ich fragte: Wer bist du? — Er antwortete: Du selbst!
Ja, das Wo findet bei dir keinen Platz, und wo du bist, da gibt es kein Wo.
Nichts in der Welt vermag sich dich vorzustellen, so dass der Gedanke wüsste,
wo du bist.
Du bist der, der jedes Wo und Wo-Nicht durchdringt. — Wo also bist du?
Allah
und Mensch
Ich bin derjenige, den ich liebe, und der mich liebt, ist mein Ich. Wir sind
zwei Seelen, in einem einzigen Körper. Siehst du mich, siehst du ihn; siehst
du ihn, siehst du uns!
Deine Seele ist mir meiner Seele gemischt, wie man Wein mit klarem Wasser mischt.
Was dich berührt, rührt mich; und in allem bist du nun ich! Bist du
es, oder bin ich es, diese Substanz in der Substanz? Fern sei es, fern sei es,
zwei zu behaupten! Du hast eine Wesenheit, die für immer in meinem Nichts
ist. Alles ist gegenüber dem All in doppelter Weise eine Betörung.
Wo ist deine Wesenheit getrennt von mir? Wo ich sah, war meine Wesenheit aufgesaugt
und vernichtet, so daß es kein Wo mehr gab.
Wo ist deine wahrnehmbare Ausdrucksform, du meine Hoffnung? Im Innern des Herzens
oder im Innern des Auges? Zwischen mir und dir ist ein Ich-bin, das mich bekümmert;
darum räume dieses Ich-bin in deiner Güte fort!
Lobpreis
Allahs
Ich preise Allah, außer dem es keinen Gott gibt, der über die Grenzen
der Vorstellungen, die Bilder der Gedanken, die Einbildungskraft des Nachdenklichen
und die Definition des Bewußtseins erhaben ist, dem nichts ähnlich
ist und der (alles) hört und sieht!
Wisse, daß der Mensch auf dem Teppich des Gesetzes steht, solange er nicht
zu den Stufen des (vollkommenen) Bekenntnisses der Einheit gelangt ist. Sobald
er aber zu ihnen gelangt ist, fällt die Beobachtung des Gesetzes vor seinem
Auge herunter, und er beschäftigt sich mit den Strahlen, die aus dem Schachte
der Aufrichtigkeit aufgehen.
Wenn diese Strahlen auf ihn eingestürmt sind und die aufgehenden Lichter
sich vor ihm verflochten haben, wird das Bekenntnis der Einheit für ihn
Ketzerei und das Gesetz für ihn eine Torheit. Er bleibt ohne (eigene) Substanz
und Spur; wenn er das Gesetz beobachtet, beobachtet er es der Form wegen, und
wenn er das Bekenntnis der Einheit ausspricht, spricht er es gezwungen aus.
Die
Erkenntnis Allahs
Die Erkenntnis (Allahs) ist jenseits des Jenseits, jenseits der Grenze, jenseits der Absicht, jenseits des innersten Bewusstseins, jenseits der Mitteilungen, jenseits der Wahrnehmung.
Das alles ist etwas, das nicht war und dann wurde, und was nicht war und dann
wurde, liegt nur im Raume vor. Aber wie soll das, was anfanglos, vor den Richtungen,
Ursachen und Werkzeugen da war, von den Richtungen umfaßt und wie soll
es von den Grenzen berührt werden?
Wenn jemand sagt: Ich erkenne ihn dadurch, daß ich (ihn) vermisse —
wie soll durch das Vermißte das Vorhandene erkannt werden?
Wenn jemand sagt: Ich erkenne ihn dadurch, daß ich bin — so können
zwei uranfängliche Wesen nicht (nebeneinander) sein.
Wenn jemand sagt: Ich erkenne ihn, weil ich nichts von ihm weiß — so ist die Unwissenheit ein Schleier, und das Wissen hinter dem Schleier besitzt
keine Wirklichkeit.
Wenn jemand sagt: Ich kenne ihn durch (seinen) Namen — so kann der Name
von dem Benannten nicht getrennt werden, weil er nicht geschaffen ist ...
Wenn jemand sagt: Ich kenne ihn durch sein Werk - so begnügt er sich mit
dem Werk ohne den Meister.
Wenn jemand sagt: Ich erkenne ihn daran, daß ich nicht imstande bin, ihn
zu erkennen — so ist derjenige, der (dazu) nicht imstande ist, (von ihm)
abgeschnitten, und wie soll der Abgeschnittene den Gegenstand der Erkenntnis
erreichen? ...
Wenn jemand sagt: Ich kenne ihn (so), wie er sich selbst (in der Offenbarung)
beschrieben hat — so begnügt er sich mit der Mitteilung ohne die
eigene Erfahrung...
Wenn jemand sagt: Ich erkenne ihn durch (seine) Wirklidikeit — so ordnet
er damit sein Sein dem Sein des Gegenstandes der Erkenntnis über; denn
wenn jemand etwas in (seiner) Wirklichkeit kennt, wird er dadurch stärker
als das von ihm erkannte, indem er es erkennt...
Die Erkenntnis (Allahs) ist von den erschaffenen Dingen getrennt und bleibt
bei der (göttlichen) Dauer; ihre Wege sind versperrt, zu ihr gibt es keinen
Pfad. Ihre Aussagen sind deutlich, für sie gibt es keinen Beweis. Die Sinne
erfassen sie nicht, und die Beschreibungen der Menschen erreichen sie nicht
...
Der Erkennende ist der, der (Allah) sieht, und die Erkenntnis ist in dem, der
(bei Allah) bleibt. Der Erkennende ist bei seinem Erkennen, denn er ist sein
Erkennen und sein Erkennen ist er. Aber die Erkenntnis ist jenseits davon und
der Gegenstand der Erkenntnis (noch weiter) jenseits ...
Allah ist Allah, und die Schöpfung ist die Schöpfung, und dabei bleibt
es!
Enthalten in: Islamische Geisteswelt, Von Mohammed
bis zur Gegenwart Herausgegeben von Rudolf Jockel (S.114-117)
Holle Verlag , Darmstadt
Gebet
des al-Halladsch in der Nacht vor seiner Hinrichtung
Wir sind deine Zeugen; wir suchen in dem Glanze deiner Macht Zuflucht, damit
du von deiner Größe und deinem Willen zeigst, was du willst. Du bist
der, der im Himmel Gott ist und auf Erden Gott ist. Du offenbarst dich, wenn
du willst, so wie du dich nach deinem Willen in der schönsten Gestalt (der
des Menschen) offenbart hast, und in der Gestalt ist der Geist, der das Wissen,
die Erklärung und die Macht ausspricht. Dann hast du (diesem) deinem gegenwärtigen
Zeugen in deinem Wesen die Rolle der (Selbstheit) zugewiesen. Wie bist du, da
du dich meiner (Gottes) Wesenheit in meinem letzten Zustande angeglichen hast,
zu meiner Wesenheit durch meine Wesenheit gerufen und die Wirklichkeiten meiner
Wissenschaften und Wunder gezeigt hast, indem ich auf meiner Himmelfahrt zu
den Thronen Meiner Ewigkeiten emporstieg und dabei aus Meinen Geschöpfen
heraus redete. Ich bin im Begriff zu sterben, bin (so gut wie) getötet,
gekreuzigt und verbrannt, und meine verwehten Aschenteile sind davongetragen
und im Strome fortgespült. Ein Weihrauchkörnchen von der verklärten
Gestalt meiner Manifestationen ist bedeutender als die höchsten Berge!
Enthalten in: Islamische Geisteswelt, Von Mohammed
bis zur Gegenwart Herausgegeben von Rudolf Jockel (S.117)
Holle Verlag , Darmstadt
Gebet des al-Halladsch vor seiner Hinrichtung
O Allah, du bist es, der sich von jeder Richtung offenbart und (doch) nach keiner
Richtung gelegen ist! Bei der Wahrheit deiner Versicherung über meine Wahrheit
und bei der Wahrheit meiner Versicherung über deine Wahrheit. Ich bitte
dich, o Herr, schenke mir die Dankbarkeit für diese Wohltat, die du mir
erwiesen hast, daß du vor den Blicken der anderen verbargst, was du mir
enthülltest, nämlich den Aufgang des Lichtes deines erhabenen Antlitzes,
... und daß du den andern verwehrtest, was du mir erlaubtest, nämlich
in die Verborgenheit deines Innersten zu schauen! Hier sind deine Diener, die
sich versammelt haben, um mich zu töten, aus Eifer für deine Religion
und im Streben nach dir. Verzeihe ihnen, und sei ihnen gnädig! Denn wenn
du ihnen den (dich) verhüllenden Schleier weggezogen hättest wie mir,
würden sie das nicht mit mir tun, und wenn du mir dasselbe verdeckt hättest
wie ihnen, wäre ich (jetzt) nicht in dieser Prüfung. Dir gebührt
Preis für das, was du tust, und dir gebührt Preis für das, was
du willst!
Enthalten in: Islamische Geisteswelt, Von Mohammed
bis zur Gegenwart Herausgegeben von Rudolf Jockel (S.117f.)
Holle Verlag , Darmstadt
Gott
ist das Licht des Himmels und der Erde
Gott ist das Licht der Himmel und der Erden. Er ist das Licht
des Lichtes; Gott leitet, wen Er will, durch Sein Licht zu Seiner Macht
und durch Seine Macht zu Seiner Verborgenheit, und durch Seine Verborgenheit
zu Seiner Ur-Anfänglichkeit, und durch Seine Ur-Anfänglichkeit zu
Seiner Ur-Ewigkeit und seiner künftigen Ewigkeit, und durch Seine Ur-Ewigkeit
und künftige Ewigkeit zu Seiner Einzigkeit: Es gibt keinen Gott außer
Ihm — Er ist erhaben und heilig — dessen Sache und Macht bezeugt
wird. Er läßt, wen Er will, zunehmen an Wissen über das Bekenntnis
Seiner Einheit und darin, Ihn als frei von allem zu erklären, an Wissen
über die Erhabenheit Seiner Stellung und Seine Einzigkeit und die Verherrlichung
Seiner absoluten Herrscherwürde.
Und ferner: Im Kopf das Licht der Inspiration, zwischen den Augen das Licht
der vertrauten Gebetszwiesprache, im Ohr das Licht der Absoluten Gewißheit,
auf der Zunge das Licht der Erklärung, in der Brust das Licht des Glaubens,
in den natürlichen Veranlagungen das Licht des ständigen Preisens,
Lobens und Glaubensbekennens. Und wenn sich etwas von diesen Lichtern entzündet
und Macht über das andere Licht gewinnt, dann läßt es dies unter
seine Macht eintreten, und wenn es ruht, wird die Macht jenes Lichtes reicher
und vollständiger als sie war, und wenn alle Lichter entzündet sind,
wird es »Licht über Licht; Gott leitet zu Seinem
Licht, wen Er will.«
Aus: Korankommentar zu Sure 24, 35 (Lichtvers)