Abu-Hamid Muhammad al-Ghassali [Ghazali] (1058 – 1111)

Iranischer Philosoph, Mystiker und größter Theologe des Islam, der den Versuch bekämpfte, das islamische Dogma auf die griechische Philosophie zu gründen. Ghassali wollte den Islam vom Formalismus zu befreien und durch einen von Auswüchsen gereinigten Sufismus zu vertiefen. Ghassali wird in der islamischen Welt als der große Wiederhersteller des Glaubens (Muhji du-Din) verehrt.

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Von der Liebe zu Allah
Wisse: Die Liebe zu Allah ist die höchste der Stufen, ja, das eigentliche Endziel aller Stufen, denn der Zweck alles dessen, was zu dem Bereich der verderbenbringenden Dinge gehört, ist ja nichts anderes als die Reinigung von allem, was von der Liebe zu Allah abzieht, und die rettenden Dinge, . . . wie die Buße, die Geduld, die Weltflucht, die Furcht und die anderen, sind nur Vorstufen zu ihr, und das, was darauf folgt, wie die Sehnsucht und die Ergebung, sind ihre Frucht und Folge.

Die höchste Vollkommenheit, die der Mensch erreichen kann, ist die, dass die Liebe zu Allah sein Herz so erfüllt, dass sie alles andere aufhebt, und wenn das nicht möglich ist, sie doch die Liebe zu allen anderen Dingen überwiegt.

Die Erkenntnis des Wesens der Liebe aber ist so schwierig, daß manche Dogmatiker sie ganz geleugnet und gesagt haben, daß man ein Wesen, das nicht von der gleichen Art sei wie wir selbst, überhaupt nicht lieben könne, und dass daher die Liebe zu Allah nichts anderes als Gehorsam ihm gegenüber bedeute.

Wer jedoch dies glaubt, der weiß nichts vom Wesen der Religion. Darum müssen wir dies notwendig auseinandersetzen; und wir wollen daher zuerst von den Zeugnissen des heiligen Gesetzes über die Liebe zu Allah sprechen . . .

Wisse: Alle Muslime stimmen darin überein, dass die Liebe zu Allah eine Pflicht ist!

Wie kann aber zur Pflicht gemacht werden, was es gar nicht gibt, und wie kann man die Liebe als Gehorsam deuten, da doch der Gehorsam der Liebe folgt und ihre Frucht ist? Denn notwendigerweise ist zuerst immer die Liebe da, dann, danach gehorcht der Liebende.

Es heißt im Worte Allahs: Er liebt sie, und sie lieben ihn!
[Koran 5,54] — Der Gesandte Allahs sagt: Niemand ist gläubig, ehe er nicht Allah und seinen Gesandten mehr liebt als alles außer ihnen! — Und weiter: Der Diener Allahs ist nicht gläubig, solange er nicht Allah und seinen Gesandten mehr liebt als sein Weib und sein Gut und alle Menschen! — Man fragte ihn: Was ist der Glaube? — Er sagte: Daß man Allah und seinen Gesandten mehr liebt als alles außer ihnen! —

Auch spricht Allah eine Drohung aus, indem er sagt: Sprich! Wenn euch eure Väter und Söhne und Brüder und Frauen und eure Sippe und das Gut, das ihr erworben habt, und der Handel, dessen Stocken ihr befürchtet, und die Wohnungen, an denen ihr Wohlgefallen habt, lieber sind als Allah und sein Gesandter und das Sichbemühen auf seinem Wege, so wartet nur, bis Allah sein Wort erfüllt!
[Koran 9,24] —

Ein Mann sprach zu dem Gesandten Allahs: Ich habe dich lieb! — Der antwortete: Mache dich bereit zur Armut! — Sprach jener: Ich liebe Allah! — Da sagte er: Mache dich bereit zur Trübsal! —

In einer Überlieferung heißt es, daß Abraham, der Freund Allahs, als der Engel des Todes zu ihm kam, um seine Seele hinwegzunehmen, zu ihm sprach: Hast du je einen Freund gesehen, der seinen Freund tötet? —

Da offenbarte ihm Allah: Hast du je einen Liebenden gesehen, der sich sträubte, zu seinem Geliebten zu kommen? — Da sprach er: O Engel des Todes, nun nimm denn meine Seele, denn ich willige darein! —

In einem Gebet des Gesandten Allahs heißt es: Herr, schenke mir Liebe zu dir und Liebe zu denen, die dich lieben, und zu allem, was mich zu deiner Liebe führt, und laß mir die Liebe zu dir lieber sein, als dem Durstigen das frische Wasser! —

Zu dem Gesandten Allahs kam ein Beduine und fragte ihn: O Gesandter Allahs, wann wird der Jüngste Tag sein? — Da sprach er: Was hast du bereit für jenen Tag? — Sprach jener: Beten und Fasten habe ich nicht viel, aber ich liebe Allah und seinen Gesandten. — Da sprach er: Morgen, am Jüngsten Tage wird jeder mit dem zusammen sein, den er liebt! —

Abu Bakr, der Wahrhaftige, sprach: Wer die reine Liebe zu Allah geschmeckt hat, der vergißt darüber diese Welt und kehrt sich von den Menschen ab.

Hasan Al-Basri sagte: Wer Allah recht erkennt, der liebt ihn, und wer die Welt recht erkennt, der haßt sie. Nur so lange ist der Gläubige lustig, als er gedankenlos ist, wenn er aber nachdenkt, wird er ernst! —

Es wird erzählt, dass Jesus einst an Leuten vorüberkam, die elend und abgemagert aussahen. Er sprach zu ihnen: Was ist mit euch? — Sie sagten: Aus Furcht vor der Strafe Allahs sind wir so abgemagert. — Da sprach er: Ihr habt es vor Allah verdient, dass er euch vor seiner Strafe sicher macht. —

Darauf traf er andere Leute, die noch elender und abgemagerter aussahen. Da sprach er: Was ist mit euch? — Sie sagten: Die Sehnsucht nach dem Paradies hat uns so abmagern lassen. — Darauf sprach er: Ihr habt es vor Allah verdient, dass er eure Sehnsucht erfüllt. —

Dann traf er andere Leute, die noch elender und abgemagerter als die vorigen aussahen, deren Gesichter aber leuchteten wie Spiegel. Er sprach: Was ist mit euch? — Sie sagten: Die Liebe zu Allah hat uns so werden lassen. — Da setzte er sich zu ihnen und sprach: Ihr seid die, die Allah nahe sind; mit euch zusammenzusitzen ist uns befohlen worden! —

Sari As-Sakati sagte: Morgen, am Jüngsten Tage wird man alle Menschen zusammen mit ihren Propheten aufrufen mit den Worten: O Gemeinde Mosis, o Gemeinde Jesu, o Gemeinde Mohammeds!, bis auf die Liebenden Allahs, denn sie wird man mit den Worten aufrufen: Ihr Freunde Allahs, kommt her zu Allah, dem Erhabenen! —, und ihr Herz wird ihnen dann schier vor Freude springen.

In einem der heiligen Bücher heißt es: Mein Diener, ich habe dich lieb; bei dem Recht, das ich über dich habe, habe auch du mich lieb! —

Enthalten in: Islamische Geisteswelt, Von Mohammed bis zur Gegenwart Herausgegeben von Rudolf Jockel (S.180-183)
Holle Verlag , Darmstadt